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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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reißt Kumpels die Gliedmaßen ab. Zweiundzwanzig Männer wurden in fünf Monaten verstümmelt. Einen hat es das Leben gekostet, Emil Weinschau, er wurde in der Leibesmitte zerschnitten wie Butter.
    Laut Grubenleitung sind immer die Bergleute schuld, wenn was passiert. Da hat wieder jemand nicht aufgepasst, zu viel gesoffen am Vortag, was auch immer. Um Schlamperei zu verhindern, setzt man doch schon mehr Aufsichtskräfte ein, als Männer vor Kohle arbeiten. Aufseher, Vorarbeiter, jeder Idiot, der einen guten Arbeitsspiegel hat und der Grubenleitung willfährig ist, hat was zu sagen – und keiner weiß wo’s lang geht. Es fehlt an Intelligenz, Vorausschau, Führungsqualität. Niemand fragt sich, warum kaum ein Kumpel mit Geduld und guter Spucke an diesen modernen Maschinen eingearbeitet wird. Da kann auch der Betriebsrat nichts dran ändern.
    Vor Franks Augen verschwimmt der Berg, der Hammer droht seinen Händen zu entgleiten. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, ob die Zeche wirklich seine Endstation ist, ob es nicht andere Möglichkeiten im Leben gibt, als sich zum Invaliden zu schuften. Über Tage zu gehen vielleicht, einen Kranführerschein machen und fast genauso viel Geld verdienen oder LKW fahren oder, oder, oder ... Die Zeiten verändern sich. Deutschland braucht Männer mit Grips und Mut. Für die Knochenmaloche kommen die Gastarbeiter ins Land.
    Cemir hat seine Pressluft abgestellt. Er lehnt auf dem Hammer und wischt sich den Schweiß aus der Stirn. Er nickt Frank zu und lächelt müde. Er sieht aus, denkt Frank, als habe er tagelang nicht geschlafen. Heute strahlt der Türke weder Kraft noch Energie aus.
    Unversehens ist Schotterbein da. Wie ein böser Geist taucht er aus dem Kohlenebel auf. Er versetzt Cemir mit dem Stock einen Schlag. Frank hat davon gehört, dass Züchtigungen mit dem Steigerstock früher zur Tagesordnung gehörten, erlebt hat er so etwas noch nicht. Was ist nur los mit Schotterbein? Abgesehen von dummen Sprüchen, die Cemir seit einem Jahr ertragen muss, Pisakereien und ungerechten Behandlungen, ist der Obersteiger bis auf den letzten Freitag nie handgreiflich geworden.
    Cemir duckt sich weg, springt gegen die Wand wie ein verängstigtes Tier. In seinem schwarzen Gesicht leuchten die Augen wie schneeweiße Murmeln und reflektieren Schotterbeins Hass. Der Presslufthammer fällt um und kracht auf die Schiene.
    »Pause ist dann, wenn ich das sag‘, Kümmelmann!«, brüllt der Obersteiger. Sein hagerer kleiner Körper verbiegt sich wie ein kohlenschwarzes Rumpelstilzchen, als er mit dem Stock vor Cemirs Nase herumfuchtelt. Er zeigt auf den Hammer. »Aufheben und weitermachen. Sonst steht‘s in deiner Akte und du kannst nach Hause zurück in die Türkei. Wir wollen hier keine Aufsässigen.«
    »Ja, ja«, nickt der Türke und gehorcht wie ein getretener Wurm, der sich krümmt. Vielleicht, denkt Frank, verringert er dadurch die Wahrscheinlichkeit, erneut getreten zu werden. Andererseits wirkt Cemir nicht wie ein Mann, der sich mit Demut abfindet.
    Das Unheil nimmt seinen Lauf.
    Cemir ist müde, garantiert, sonst wäre das Folgende nicht passiert.
    Der Türke setzt den Hammer an, bollernd drückt sich die Spitze in die Kohle, unversehens rutscht Cemir aus, fällt auf die Knie, der Hammer schnellt weg, macht eine Drehung zum Hangenden, dreht sich weiter – um Himmels willen! – immer weiter, richtet sich gegen den Mann wie ein gigantischer Zeigefinger, während die höllische Spitze schnappt, sich dreht, bohren will, bohren, egal ob in Fleisch oder Stein.
    Dann reißt der Pressluftschlauch aus dem Flansch.
    Das darf nicht passieren! Frank überläuft es kalt.
    Der Hammer schweigt auf der Stelle, poltert vor Cemir in den Staub, nur Zentimeter vor dessen Kniegelenke. Diese Gefahr ist gebannt, eine folgende genauso schlimm.
    »Scheiße auch!«, brüllt Knochen-Paul.
    Auch Wursti lässt alles stehen und liegen. Er schreit in den Lärm hinein: »Mach doch mal einer den Dynamo aus!«
    Sie alle kennen die Gefahr, die nun herrscht. Der Luftschlauch peitscht umher, ein prall gefüllter Schwengel, von dem man nicht getroffen werden darf, weil er stärker ist als jede Faust, wie ein wild gewordener Feuerwehrschlauch.
    Cemir duckt sich, rollt sich zur Seite. Der Schlauch wischt über ihn hinweg, knallt gegen das Gestein, flutscht zurück, wie eine sich schlängelnde, suchende, blitzschnell zubeißende Giftschlange, solange entfesselt, bis ihm der Atem genommen wird.
    Wursti, der dem Dynamo am

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