Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
mit Schießdraht festgeklemmte Butterdosen, damit die Mäuse nicht drankommen, der Bruch ist unruhig, ständig knistert es irgendwo, rumpelt der Berg, tropft und kneist, reißt es von oben, man fühlt sich wie eine Ratte und Platzangst kann man sich nicht erlauben.
Frank lässt sich erschöpft auf eine Gezähekiste fallen. Das Arschleder drückt sich in seine Kimme. Er ist schon jetzt kaputt, nicht als wäre es vor, sondern nach der Schicht. Das Schweißhemd klebt ihm wie eine zweite Haut am Körper, er lockert das Halstuch. Die Nacht steckt ihm in den Knochen, wie er es befürchtet hat. Sie alle buttern. Brauchen Energie. Einen Schluck Kaffee nur, nicht mehr, denn ein Kumpel trinkt nie viel vor der Schicht. Keiner weiß, was der Tag bringt und Flüssigkeit kann Leben retten. Zwei, drei Bissen und die Wurststulle ist verschlungen, gibt Arbeitskraft. Fein streicht ein Wetterzug über sie hin, fast so kühl wie oben, wo die Sonne aufgeht. Der Herbst kommt, der Winter folgt. Gut so. Im Sommer ist es grausam hier unten, denn die heiße Außenluft wird in die Stollen gepumpt, was zu Unachtsamkeiten und Unfällen führt. Im Winter gibt es weniger Tote als im Sommer.
Ventilatoren dröhnen, so dass kein normales Gespräch mehr möglich ist. Den Rest des Tages werden die Kumpels schweigend arbeiten, sich bestenfalls brüllend verständigen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, eine Symphonie aus Luft, Stein und heulendem Metall.
Sie nehmen die Schippen, Säge, Beil, den Abbauhammer aus der Gezähekiste, ran an den Berg, ran an die Kohle, das Geleucht nie vergessen, niemals, auf keinen Fall, komme was wolle, denn Licht ist Leben, auch wenn die dynamobetriebene Luftlampe weiß strahlt, egal, die Helmlampe anstellen, Licht, damit man durch den Staub, den schwarzen Vorhang dringt, den Hammer an den Ventilatorschlauch anschließen, klack!, in den Flansch - sitzt alle so, wie es soll, poff, poff!, kommt das Monstrum auf Touren, es wiegt sauschwer, raunt, pockert, blubbert in Franks Händen, die von Handschuhen geschützt sind, dann endlich brummt es rund, schlägt sich tief in den Stein, der sich ächzend wehrt.
Oskar lehnt an einem Stempel und wartet auf Franks Kohle. Drüben arbeitet der stämmige Cemir zusammen mit Wenna, führt den Hammer ebenso geschickt wie Frank.
»Weg mit dem Dreck!«, brüllt Frank. Schon jetzt ist seine Haut verstaubt, juckend, das Gesicht Schmutz überkrustet. Der Staub wird undurchdringlich, auch wenn das Schmidtsche Gerät den Staub absaugt wie Mutters Vorwerk in der guten Stube. Wenna hustete minutenlang, Krchk! Krchk!, dann arbeitet er weiter.
Oskar schiebt den Teckel ran, rein mit der Kohle in den Wagen und weg damit. Sie müssen viele davon füllen. Unzählige. Der volle Wagen wird weggeschoben und gegen einen Leeren ausgewechselt, unten an der Weiche. Einmal mehr wird Frank deutlich, dass er der Arsch ist. Nicht mal Hauer ist er, keiner, der sich hin und wieder etwas ausruhen darf, nichts anderes als ein Hilfssklave ist er, jemand der sich einen abmalocht, weil er keine Grubenlehre abgelegt hat. Er ist nichts als ein beschissener kleiner Bergmann. Sein Zorn, sein müdes Selbstmitleid, die Sache mit den Flaggen und dem Fotografen, die anstrengende Geburtstagsfeier, Lottes Verdrossenheit wegen dieser Sachen und nicht zuletzt die Sorge um Ottilie, alles das überträgt sich in den pulsierenden Hammer und seine Haut dampft, seine Zunge klebt am Gaumen, sein Hals ist ausgedörrt, dennoch denkt er nicht an trinken und essen. Für beides ist er jetzt viel zu erschöpft. Sogar das Denken fällt ihm schwer, obwohl er dazu neigt, in Tagträume abzugleiten.
Er weiß, dass er aufpassen muss. Ein müder Bergmann kann Fehler machen. Ein Fauxpas unter Tage bedeutet nicht selten eine schwere Verletzung, Verstümmelung oder den Tod. In diesem Jahr haben schon neun Kumpels dran glauben müssen, unzählige haben sich ihre Knochen gebrochen und sind jetzt invalide Wracks. Das hat viel mit Schlamperei zu tun, mit Müdigkeit, mit Gedingedruck.
Die Männer hier unten werden ausgebeutet, damit die Aktionäre Jahr für Jahr den Siegeszug der Kohle feiern dürfen, regt sich Frank hinter verschlossenen Türen auf. Auf veraltete Technik achtet niemand, Hauptsache alles funktioniert irgendwie. Frank erinnert sich an den gigantischen Hobel, den man drüben in der sechsten Abteilung eingesetzt hatte. Das Ding ist groß wie ein LKW, brüllt wie ein Monster, schält sich mit kreisenden Messern in den Berg, fördert Unmengen und
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