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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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die eigene Stimme über Durst und Hunger hinweg, über das, was er in den letzten Monaten erduldet hat, was ihn nie mehr in seinem Leben loslassen wird.
     
     
    Kann dir mein Wort drauf geben:
    „Vencerá la libertad!“
    Dem Feind wird nicht vergeben,
    Du bleibst in unserm Leben, Hans Beimler, Kamerad!
     
    Sind sie Kameraden? Sind sie Leidensgefährten?
    Überspannte Sonderlinge sind sie, notorische Einzelgänger, andersgeartete Individualisten, in morbide Hirngespinste verstiegene Nonkonformisten, viele vom Zerfall signiert, gezeichnet und verändert von zu viel Alkohol, Drogen, Krieg, Verlust und Trauer. Scheiß auf Kamerad! Jeder will nach Hause, nur die meisten haben keines. Niemand ist ein Held, jedermann auf der Flucht.
    Da vorne wird der Weg schmaler und unübersichtlicher. Überall hier können sie stecken, diese kleinwüchsigen braunen Gegner, die mit Hass und Todesmut jedem Teufel trotzen.
    Colonel Legrange reitet dem Trupp voraus, ein mutiger Mann, die Schultern gegen den Horror nach vorne gestemmt. Wenn er sich umdreht und seiner Gruppe zunickt, zuckt das hagere Gesicht, von der Sonne verbrannt, unrasiert, die Augen irrlichternd von Blut und Tod.
    Frank mag diesen Mann, denn Legrange macht kein Hehl aus seinem Zorn über den Fehler, den Frankreich beging, als es den Vietnamesen die Unabhängigkeit untersagte. Himmel noch mal, es ging um irgendeine beschissene französische Kolonie. Nichts Bedeutendes. Soeben hatten sich die kommunistischen Viet-Minh, eisenharte Partisanenkämpfer, erfolgreich gegen ihre aktuellen Besatzer, die Japaner gewehrt. Kein Wunder, dass der politische Führer Ho Chi Minh und dessen General Vo Nguyen Giap selbstbewusst erstarkt unabhängig werden wollten. Sie hatten es sich verdammt noch mal verdient.
    Die beiden Vietnamesen hatten die Rechnung ohne die Franzosen gemacht. Diese rüsteten zum Kampf. Warum auch nicht? Für ein paar Palmen, Schlangen, Ungeziefer und einigen Opiumplantagen lohnte sich ein Krieg, nicht wahr? Wenn Legrange darüber sprach, lachte er wie ein Kakadu und sagte mit sarkastisch französischem Akzent: »Merde – Froschfresser sind genauso plemplem wie ihr Nazis.«
    Da der Krieg gegen die Viet-Minh in der eigenen Heimat, in Frankreich, als schmutzig galt, war es gut, dass inzwischen mehr als 40.000 deutsche Soldaten bei der Legion dienten. Sollten die es doch richten. So würden nur wenige französische Mütter trauern müssen.
    Im Februar 1946 landete als erste Legionseinheit das 2. REI in Saigon. Wenig später kam Frank mit der 3. REI an, von denen letztendlich kaum jemand überleben sollte. Die ersten Monate waren ruhig, doch im November 1946 wurden 29 franzöšsische Soldaten durch Viet-Minh-Truppen massakriert. Im Dezember töteten die vietnamesischen Partisanen 600 unschuldige französische Zivilisten und brachten damit das Fass zum Überlaufen.
    Der Krieg begann.
    Und singen! Und singen!
    Immer schmaler wird der Weg.
    Über ihnen spannt sich ein Dach aus Grün, undurchdringlich, beengend. Es verändert seine Konsistenz. Wird schwarz glänzend, hart wie – wie Kohle, wie der Berg!
    Wir reiten im Dschungel, denkt Frank. Himmel Herrgott! Wir sind nie geritten im Dschungel. Wir sind geschlichen, gekrochen, gerobbt - aber nie geritten!
    In Algerien, da haben wir uns im Sattel gequält, bis die Innenschenkel blutige Fetzen Fleisch waren, in Tunesien sind wir geritten, bevor wir wie Tote vom Sattel rutschten und uns in die Unterstände schleppten, halb verdurstet. Aber niemals im Dschungel ...
    Es ist ein Traum!
    Der immer wiederkehrende Traum!
    Und kalt wie Stahl surrt das Verderben aus der grünen Wand. Messer schwirren, tanzen sirrend durch die Schwüle. Sie kommen so tödlich und behände wie der Biss einer Viper.
    Der Kamerad vor Frank reißt seine Hände zum Hals, dreht seinen Kopf ganz langsam nach hinten, grinst wie ein Gespenst, aus seinem Mund strömt Blut. Er zieht mit Bedacht das Messer, eine erstklassige vietnamesische Handarbeit, aus seiner Kehle, betrachtet es versonnen, kichert über sein rotpulsiges Ebenbild, das sich in der Klinge spiegelt, die Kuppe seines Zeigefingers gleitet zärtlich über die Schneide, dann fällt der Mann tot vom Pferd.
    Ein Vorschlaghammer bullfert, pobbert, scheppert, Palmen biegen sich knisternd, beugen sich immer tiefer über Frank und die Männer, die vor ihm reiten; ein Tiger lugt aus dem Schilf, borstig, nein!, flauschig wie ein Teppich, mit glühenden Augen, bereit zum Angriff!, und schweigend und sterbend

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