Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Verantwortungsbewusstsein, Sitte, Ethik, kurz: ein anständiges Verhalten! - so hat Frank häufig mit Lottchen diskutiert – nicht mehr als ein Wert für Dummköpfe, ein Haufen Scheiße!
Einig sind sich Frank und Lotte Will über Folgendes: Ungeachtet ihrer Zweifel wollen sie es aus eigener Kraft schaffen! Der Preis ist hoch, da gibt es keine Diskussion. Noch mehr Doppelschichten, viel zu viel Nachtarbeit.
Lottchen hat jetzt zwei Arbeitsstellen. Tagsüber presst sie Leberwurst und schleppt Eimer mit Fleischresten, später reinigt sie die Büros der Stadtverwaltung.
Sogar Deputatkohle hat Frank verkauft. Das wird zwar von der Zechengesellschaft nicht gebilligt, bringt jedoch fünfzig Mark pro Tonne und das ist doch auch was.
So bleibt am Monatsende einiges Geld übrig, das auf der Sparkasse landet. Ein Grundstock für eine gute Zukunft. Mehr als dreiundzwanzigtausend Mark haben sie in den vergangenen zehn Jahren angespart.
Noch zwei oder drei Jahre und es ist genug Bares da, um die Anzahlung für ein kleines Haus zu leisten.
Hin und wieder ist die Versuchung, die Lust, das Geld einfach für schöne Dinge auszugeben, schier übermächtig, aber sie haben haushalten gelernt. Wenn nicht sie, wer dann? Sie räumen noch immer die Trümmer weg, damit darunter eine fein geharkte Fläche ohne Unkraut entsteht, ein Boden, den man einsät, auf dem Schönes und Gutes wachsen soll.
Seit fast zwei Jahren, seit Schotterbeins Angebot und Franks Ablehnung, hat Frank kein Buch mehr gelesen, weil ihm die Augen in jeder freien Minute zufallen und permanenter Kopfschmerz die Absorption von Wissen und Gedankenarbeit unmöglich macht. Das fehlt ihm so sehr. Dann steckt er seine Nase in den Bund eines aufgeschlagenen Buches und atmet den Duft des Papiers, der Druckfarbe, der Worte und trauert um seine gebundenen Freunde.
Derzeit ist er – und da macht Frank sich nichts vor – ein schlechter Vater, der seine Kinder nur noch selten sieht, stattdessen mit seiner Schwiegermutter streitet, während diese sich mit Lotte streitet und Thomas irgendwo dazwischen steht, dem Streit beiwohnt und in der Schule immer schlechter wird.
Frank quält sich aus dem Bett, schleppt sich in die Küche.
Heute, von Dienstag bis zum Wochenende, hat er sich ein paar Urlaubstage genommen.
Gott sei Dank! Vier, fünf Tage kein Pütt, keine Schikane.
Jetzt eine Tasse Kaffee, der den Kopf reinigt, und danach ein Stündchen Arbeit im Garten, in der Sonne, frische reine Sommerluft atmen.
2
Otto Jäckel behaucht das geprägte FR seiner Manschettenknöpfe, poliert dieses Dankeschön für besondere Verkaufsleistungen am modischen Blazer im Streifendesign, rauchblau von Cardin, kämmt sein gebrisktes Haar straff gen Hinterkopf, richtet seine Hornbrille und runzelt bei dem Gedanken daran, dass es andere Menschen zu nichts bringen, angewidert die Brauen.
Das Heer der Achzigprozenter! , so nennt Otto das Gros, welches er für beschränkt hält, jene Horde, die nicht handelt, nicht agiert, nur reagiert, denn Otto vertritt die Auffassung, dass jeder Mensch das Zeug zu Glanzleistungen hat. Nie waren die Zeiten dafür besser als heutzutage. Alles ist im Aufbruch! Deutschland-Kriegsverlierer-Volk hat – und das kommt einem Wunder gleich! - eine zweite Chance bekommen. Wer die nicht ergreift, handelt in Ottos Augen fahrlässig.
Von seiner tief verwurzelten Abscheu vor Unvermögen ahnt sogar Gina nichts, die mit Dünkel jedweder Art nichts anzufangen weiß, obwohl auch sie erfolgsorientiert denkt und handelt. Das ist die Facette seines Charakters, die er verschlossen hält, wie man ein Wesen verbirgt, das – seiner Fesseln entbunden – bedrohlich wirken könnte. Würde man ihm Überheblichkeit vorwerfen, wäre Otto Jäckel beleidigt.
In den vergangenen achtzehn Monaten hat Otto einen beachtlichen finanziellen Aufstieg verwirklicht. Er verdient sehr gut und Ginas Laden läuft fabelhaft, und ein Ende dieses Aufschwungs ist nicht abzusehen, denn in Berlin warten noch viele Tausend Menschen darauf, dass Otto sie besucht und ihnen eine Versicherung verkauft. Verkauft? Nein – unterbreitet!
Der Kaufvertrag für sein Haus am Stadtrand ist unterzeichnet, zweihundert Quadratmeter Wohnfläche und Garten, der neue Opel Kapitän steht schon auf der Straße, verfügbar für die weiträumige, vom Haus aus begehbare Garage. Beides, Domizil und Vehikel, sollen nur das Präludium für den ganz großen Erfolg darstellen.
Seht her, es geht doch!, will Otto mit
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