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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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sinkt einer nach dem anderen, Mann für Mann, vom Pferd, Klingen und Schneiden blitzen schwarz wie Kohle, wie Kohle, tropfen blutig, dick wie Sirup, jeder Pferderücken entblößt, irgendwie obszön, zehn, zwanzig Pferderücken, eine braunschwarze Straße Pferderücken, dann sind nur noch Colonel Legrange und Frank übrig, einer ganz vorne, einer ganz hinten, dazwischen das besattelte Niemandsland des Todes.
    Legrange hält den Tross an, dreht sich um, stützt sich auf den Sattel wie ein kleinwüchsiger John Wayne, fixiert Frank, der die Nachhut bildet und seine Lippen spalten sich zu einem Lächeln der Wut. Aus seinen Augen spritzen Funken des Irrsinns. Endlich wehen seine Worte zu Frank herüber, gewisperte Fetzen: »Wer zuerst, Sie oder ich, Allemand?«
    Eine Machete schweift, von einer unsichtbaren Kraft gelenkt, aus dem Geblätte und Legranges Kopf, glatt an der Schulter abgetrennt, kippt von den Schultern und aus dem Hals pulst klebriger Ruß und der Bohrhammer pocht, dröhnt, malträtiert den Berg und das Schmidtsche Gerät saugt den Staub ab und die Stempel knirschen unter dem Druck des Hangenden; der Blätterhimmel senkt sich kohlenglitzernd bröselnd, senkt sich und die Stempel kreiseln um sich selbst wie Derwische, wie hölzerne Schrauben, die sich in das Kohlenbett winden, währenddessen das Hangende tiefer, tiefer, tiefer sinkt, erdrückend, heiß wie Dschungelfeuchte - und die Schlagwetterexplosion naht, die man wittert, wenn man nur lange genug unter Tage ist, die Explosion, die alles verrauchen wird und Legranges Kopf kugelt wie ein Fußball durch den Flöz, landet vor Franks Füßen, wie ein Fußball, ein Fußball, ein Fußball und öffnet den Mund und fragt: »Wer zuerst, Sie oder ich, Allemand?«
    Es ist der Traum.
    Nur dieser immergleiche beschissene Traum!
    Stöhnend erwacht Frank.
    Gewalt!
    Einschlafen nach Willkür, träumen von Gewalt, erwachen mit dem Frösteln des Erlebten.
    Gewalt!
    Es dauert ein oder zwei Minuten, bis er sich zurechtfindet.
    Sein Blick fällt auf die Uhr. Kurz nach Eins am Mittag.
    Er ist in Schweiß gebadet.
    Lottchen hat das Fenster vom Schlafzimmer geschlossen gehalten, damit keine Geräusche seinen Schlaf stören, deshalb ist es heiß hier drinnen wie in einem Glutofen.
    Wieder diese verzerrte Erinnerung, die ihn seit Monaten bedrängt wie ein ekeliges Tier, dem man nicht entkommt. Gibt es keinen anderen Weg als Gewalt, um die Menschen zur Wahrheit zu führen? Colonel Legrange hatte einmal gesagt, eine mögliche Variante sei die Vernunft.
    Colonel Legrange ... Immer diese alte Geschichte.
    Frank streckt sich, schließt die Augen und atmet regelmäßig. So wird er zumindest die Hülle dieser verzerrten Erinnerung los.
    Das ist der Stress, denkt er, die Überlastung, der er ausgesetzt ist, der Zorn, der ihn nicht mehr loslässt, den er auf sich selber hat, weil er sich einerseits für einen Mann mit hohen moralischen Auffassungen, andererseits für einen Versager hält.
    Nachdem er Schotterbein mit tugendhafter Unnachgiebigkeit eine abschlägige Antwort gegeben hatte - er wollte weder ein Verräter, noch diesem Mann etwas schuldig sein - hielt der Steiger erbarmungslos dagegen. Er sonderte Frank aus wie ein schmutziges Handtuch, das man auf den Müll wirft. Seitdem schleppt Frank Bahnschwellen, legt Gleise, handlangt unter unentwegter Lebensgefahr beim Schießmeister und liegt in bauchnabelhohen Flözen auf dem Rücken in schwarzem Wasser, während der Berg ihn schier erdrücken will.
    Schon bald wurde der Traum sein Gefährte. Besucht ihn unregelmäßig. Legrange und Wille reitend im Dschungel!
    Die Arbeit ist Qual, Plackerei, die nie zu enden scheint und die Klimax der Erniedrigung darstellt, da es für Frank keine Alternative, keine Hoffnung auf Veränderung gibt. Nach wie vor ist Schotterbein Steiger, hat sich entgegen seines Versprechens auf keine höhere Hierarchiestufe zurückgezogen, wo er seine Wunden lecken und endlich genügsam werden könnte, wie ein Raubtier, das in seinem Leben hinreichend Wild geschlagen hat.
    Vielleicht widerspricht die Moral der Natur des Menschen, hatte Frank erwogen, denn warum sollte sie sonst so große Schmerzen verursachen?
    Kann es sein, fragt sich Frank ein ums andere Mal, dass Moral nichts anderes ist als die Regulierung des eigenen Egoismus – oder der eigenen Feigheit?
    Letztmöglich ist Moral aber auch einfach nur die Haltung, die man Menschen gegenüber annimmt, von denen man persönlich nicht erbaut ist. Dann wäre

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