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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Mama. Und wie das hier duftet, mmhh! Alles das kann seinen Appetit auf Linsensuppe mit Rauchendchen drin nicht mindern. Erst essen, dann mit Ottilie reden. Vielleicht erzählt er ihr von der Sache mit Herrn Schönfeld und davon, wie der mit der schwarzhaarigen Primanerin umgesprungen ist.
    Sie essen zu dritt.
    Papa ist in der guten Stube und trinkt Bier. Er holt sich noch eins, murmelt etwas das sich anhört wie: Dummheit und Stolz wachsen auf gleichem Holz!, womit keiner was anfangen kann, grinst seine Familie schief an, und als Mama nach dem Essen zu ihm will, schnarcht er auf der Couch. Sie lässt ihn schlafen.
    Ottilie hilft beim Abwasch, so gut das mit den Armverbänden geht.
    Tom macht seine Hausaufgaben.
    »Dann haben wir ja Zeit für was anderes«, sagt Mama und blinzelt dabei schelmisch. Auf den Tisch stellt sie nebeneinander zwei Höhensonnen, oval, zum Aufklappen, jeweils sechs parallel verlaufende Röhren, davor je ein Küchenstuhl. Sie schiebt den Sessel etwas näher heran.
    Na also, denkt Tom. Es lebe der Bräunungswettbewerb!
    Er nimmt neben seiner Schwester Platz. Beide recken ihre Gesichter in die Höhensonnen, die vor ihnen auf dem Tisch stehen. Sie setzen sich die Schutzbrillen auf. Darauf legt Mama viel Wert. Zwar hat sie den Ehrgeiz, dass Tom und Ottilie schön braun aussehen, aber nur, wenn es der Gesundheit zugutekommt. Verbrannte Augen gehören nicht dazu. Sie schaltet die Sonnen ein, diese flackern auf und verströmen ihren röstigen Geruch.
    Tom schließt hinter den roten Plastikgläsern die Augen. Nun wird’s spannend. Mamas Stimme. Die Höhensonnen summen und knistern, die Zeituhr knackert. Mit sanfter Stimme liest Mama aus einem Buch vor. Es ist eine spannende Geschichte über einen Mann, der auf einer einsamen Insel strandet und dort ganz alleine leben muss. Das sind die Minuten, die Tom liebt, die er anheimelnd findet und niemals in seinem Leben vergessen wird.
    Das ist der eigentliche Effekt von Mamas Bräunungswettbewerb: Ihre vorlesende Stimme, der Ausschluss der Realität hinter roten Brillengläsern, der Duft der Sonnenröhren und eine Wandlung, die Tom überkommt, wie eine Frucht, die in der Sonne unmerklich reif wird, ein Gefühl, geliebkost, gelobt und gestreichelt zu werden.
     
     

ZWEITER TEIL
     

1966
     
     

1
     
    Kommt heraus aus euren Trümmern,
    Kriecht hervor aus eurer Not.
    Vorwärts und nicht vergessen,
    Worin unsre Stärke besteht!
    Beim Hungern und beim Essen,
    Vorwärts, nie vergessen: Die Solidarität!
     
    Der Schmerz im Rücken, das Pochen im Steißbein und die Wirbelsäule hoch bis in den Nacken, die zerrenden Muskeln im Oberschenkel, alles das treibt Frank Tränen in die Augen, seine Rückenmuskeln sind gespannt wie Stahlfedern, seine Lippen öffnen und schließen sich. Er singt, singt, singt! Der Gaul unter ihm schmort dunstend und grunzt erschöpft, unterdessen herabhängende Äste und schleimige Blätter Franks Gesicht streifen und zerkratzen.
    Erschöpfung, Ermattung, Müdigkeit ... und singen!
     
    Vor Madrid auf Barrikaden,
    In der Stunde der Gefahr,
    Mit der Interkampfbrigade,
    Sein Herz voll Hass geladen,
    Stand Hans der Kommissar.
     
    Noch ein Lied und noch einen dieser unsäglichen Verse einstimmen, Worte, die durch den kambodschanischen Dschungel widerhallen und so deplatziert sind wie ein Furz in einer Kirche.
    Sie singen es mehrmals täglich, die Soldaten des 3e régiment étranger d'infanterie , kurz 3. REI genannt, das Lied von Hans Beimler, denn es macht ihnen Mut, fördert das Solidaritätsgefühl, macht die Hitze, die Feuchtigkeit und nicht zuletzt die Angst erträglich.
     
    Seine Heimat muss er lassen,
    Weil er Freiheitskämpfer war.
    In Spaniens blut'gen Straßen,
    Für das Recht der armen Klassen,
    Stand Hans der Kommissar.
     
    Für das Recht der armen Klassen ... So hat Frank seinen Einsatz für La légion étrangère , die Französische Fremdenlegion, nie betrachtet. Ein Freiheitskämpfer zu sein, oder ein Held.
    Humbug!
    Entwurzelung, die Lust aufs Abenteuer und ein Krieg, für den er noch viel zu jung war, hatten ihn die Verpflichtung unterschreiben lassen. 5 Jahre Ausland, Kriegsgebiet. Hoch dotiert. Es begann in Kambodscha und sollte in Tunesien enden.
     
    Eine Kugel kam geflogen
    Aus der Heimat für ihn her.
    Der Schuss war gut erwogen,
    Der Lauf war gut gezogen –
    Ein deutsches Schießgewehr.
     
    Frank hatte diese Lieder nie gerne gesungen, weder das von den Dragonern noch das ‚Eukalyptusbonbon’. Dennoch tröstet

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