Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Friseurbesuch fällig, denkt sich Lotte und winkt zurück.
Oh, wie sehr sie ihn liebt, wenn er fröhlich ist!
Zu oft muss sie auf sein Lachen, seinen sanften und klugen Humor verzichten. Frank schiebt unersättlich Doppelschichten, auch am Wochenende, wegen der Zuschläge. Vor ein paar Wochen hat er seinen Hauerbrief ergattert. Da hatte auch Schotterbein nichts gegen Thun können. Frank war den ganz legalen Weg gegangen und hatte alle Lehrgänge mit Bravour bestanden. Mehr als tausendeinhundert Mark bringt er jetzt schon heim, gemeinsam haben sie ab sofort, wenn man die Putzerei noch dazurechnet, tausendsechshundert Mark. Das ist mehr als doppelt so viel, wie ein Beamter verdient. Und die Miete für diese Wohnung kostet nur dreißig Mark. Da bleibt Geld übrig. Geld – sonst verbleibt nichts, kein Privatleben ... kein gar nix.
Sie sehen sich nur selten, haben kaum noch Sex miteinander und stets eselige Auseinandersetzungen wegen irgendwelcher Mattigkeiten, Entnervungen und ... Oma Käthe.
Vor ein paar Tagen war Lotte das erste Mal in ihrer Ehe froh, als Frank aus dem Hause war. Die Belastung seines missmutigen Gesichtes, seiner Brummereien, seiner trüben Laune, fiel von ihr ab wie eine Gebrechlichkeit. Das Wohlbefinden, das sie umhüllte, nachdem er zur Arbeit war, bestürzte sie. Hatten sie verlernt, sich zu lieben? Stand ihre Ehe vor dem Aus? Hatten sie es übertrieben? Wollten sie zu viel? Waren sie zu schwach, um den Widrigkeiten zu trotzen?
Wo ein Wille ist, gibt es immer einen Weg!, rief sie sich ihr Familiencredo in Erinnerung. Konnte Optimismus Selbsttäuschung sein?
Frank kommt durch den Flur in die Küche und wirft das Handtuch in den Sessel. Er hat das Strahlen mit in die Wohnung gebracht, seine Augen blitzen, er hat Helligkeit auf der Haut, die Sonne buchstäblich absorbiert.
Er gibt ihr einen flüchtigen Kuss.
»Hallo!« Thomas folgt seinem Vater in die Küche. »Alle da? Oma hat gesagt, wir gehen schwimmen?!«
»Ja, nach dem Essen«, sagt Frank und blinzelt Lotte zu. »Wenn meine Frau das auch möchte.«
Lotte nickt. Ja, sie geht gerne mit ihm und Thomas ins Schwimmbad. »Heute war Zahltag.« Sie kramt die Abrechnung heraus und nimmt sie aus dem Umschlag. »Der erste Monat ist rum. Was glaubt ihr wohl, was meine lieben Arbeitskollegen sich heute mit mir erlaubt haben?« Während sie zu erzählen beginnt, liest sie die Abrechnung. »Was glaubt ihr wohl ...« Sie studiert die Zahlen. Verharrt. Und noch einmal von vorne. Das kann doch nicht sein. Da muss doch ein Fehler vorliegen. »Ochsenaugen«, flüstert sie.
»Ist was?«, fragt Frank und zieht sich ein Hemd über, das Oma Käthe ihm reicht.
»Moment mal«, Lottes Lippen werden trocken, ihre Gesichtshaut strafft sich, in ihrem Magen krallt sich alles zusammen, ihr Darm rumort, ihre Beine sind weich und Schweißtropfen sammeln sich zwischen ihren Schulterblättern.
»Mama, was ist los? Was meinst du mit Ochsenaugen?« Thomas ist bei ihr, seine Finger auf ihrem Arm.
»Du verlierst ja alle Farbe, Kind«, ist Oma Käthe besorgt.
Frank schiebt einen Stuhl hinter sie, auf dessen Kante sie niedersinkt, die Abrechnung zwischen den bebenden Fingern. Dass es nicht dreihundert Mark sind, hat Lotte geahnt. Immerhin hat sie einiges an Fleisch und Wurst gekauft, was ihr die Firma direkt vom Lohn abzieht. Nein, dreihundert hat sie nicht erwartet.
»Vierunddreißig«, ächzt sie und sieht zu Frank, zu Thomas, zu Oma Käthe hoch, die sie allesamt verständnislos anstarren. »Vierunddreißig Mark sind noch übrig geblieben.«
Frank nimmt die Abrechnung entgegen. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, währenddessen er das Papier studiert.
»Ja, hier steht’s: Vierunddreißig Mark. Wie kommt das? Die haben sich doch gewiss verrechnet?!«
»Nein«, stöhnt Lotte, während sich ihre Augen mit Tränen zu füllen beginnen. »Nein, es war meine eigene Dummheit. Das steht alles da drin. Jedes Gramm.«
»Gramm? Ich verstehe nicht, was du meinst.« Frank wirft die Abrechnung auf den Tisch wie einen toten Fisch.
»Ganz einfach«, schluchzt Lotte. »Oh, ich bin so dämlich!«
Oma Käthe ist im Flur beim Wäscheschrank und kommt mit einem Taschentuch zurück.
»Mama«, will Thomas trösten.
»Ich hab immer Fleisch und Wurst mitgenommen, jeden Tag. Abgewogen hat es die Lieferabteilung. Ich glaube – nein, ich weiß es. Ich habe das Gewicht unterschätzt. Da kommen eine Menge Pfunde zusammen. Und nun habe ich nur noch vierunddreißig Mark übrig.«
»Das
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