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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Lotte weiß nicht, warum. Die ganze Fabrikhalle wird zu einem Idiotenstall.
    »Willkommen!«, sagt Nelkenmeyer. »Willkommen bei ASTA-Wurstwaren!«
    Noch immer weiß Lotte nicht, was los ist, als Gertrud ihr auf die Schulter tippt. »Zieh mal den Kittel aus!«
    Aber das ist verboten!, durchfährt es Lotte.
    Nelkenmeyer bestätigt lächelnd.
    Wie ein Wind ist Lotte aus den Klamotten und endlich sieht sie, was man mit ihr angerichtet hat:
    Am Rücken festgeklemmt baumeln zwei Augen!
    Rinderaugen, schön groß und rund, dick wie Hühnereier, mit einer milchigen Todeshaut drüber, die Sehnen, die blutigen Stränge, die Muskeln sind noch dran und mit Sicherheitsnadeln am Kittelstoff befestigt.
    Zwischen den glotzenden Pupillen ein Zettelchen, mit krakeliger Schrift steht drauf: Ich hab die Augen auf beim Wurstverkehr! Die Zeichnung einer Wurst, eindeutig zweideutig.
    Stoßseufzend lässt Lotte den Kittel fallen, ihre Hände zittern, sie fühlt sich wie ein kleines Mädchen, das vor aller Augen in die Hose gemacht hat, ihre Beine beben, sie reißt sich verbotenerweise die Schutzhaube vom Kopf, wirft ihre Handschuhe auf den Boden, und ehe sie sich’s versieht, stürzen Tränen aus ihren Augen.
    Die Männer und Frauen halten inne. So schlimm war das doch gar nicht, so böse war’s doch nicht gemeint!
    Ist diese Lotte Wille wirklich so empfindlich? Hätte man gewusst - nein! Seien wir ehrlich: Keiner hier hätte von diesem Spaß abgesehen!
    Selbst Nelkenmeyer ist zwei Schritte zurückgetreten und mustert Lotte erstaunt. Ein Scherz war’s – nicht mehr, ein derber zwar, aber was soll’s? Da müssen alle Neuen irgendwann durch. Es sind doch nur ein paar Augen.
    »Ihr – ihr.« Lotte fehlen die Worte und sie flüchtet in den Umkleideraum, wo sie vor ihrem Spind schluchzend auf die Bank sinkt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Augen in den Handflächen verborgen.
    An diesem Vormittag ist sie untröstlich und kann nur mit Geduld und einer gewissen Autorität ermuntert werden, wieder zu ihrer Aufgabe zurückzukehren.
    Schmollend macht Lotte ihre Arbeit, auch das Friedensangebot, eine Flasche eiskaltes Mineralwasser von Eckhard, den sie eigentlich leiden mag, weil er ein verlässlicher Arbeitskollege ist, lehnt sie ab. Mögen die anderen sie doch für eine Zimtzicke halten.
    Ebendarum – nie meint es jemand böse, dennoch gibt es keine Hemmungen, andere Menschen zu kränken, wo’s nur geht.
    Man ignoriert sie in den nächsten zwei Stunden, und als sie ihre Lohnabrechnung für diesen Monat im Büro abholt, behandelt man sie mit Eiseskälte.
    Zimperliese!, schleudert es ihr wortlos entgegen.
    Lotte ist das Leberwurscht, Schweinewurscht, - wurscht!
    Hauptsache Feierabend.
     
     
     

8
     
    Lotte fährt mit dem Fahrrad nach Hause und der Fahrtwind belebt sie. Gut, dass sie heute Abend nicht putzen muss. Das macht sie dreimal in der Woche und der Dienstag gehört nicht dazu.
    Minuten später ist ihr Kopf klar und sie schämt sich für ihr kindisches Verhalten. Es waren doch nur zwei dusselige Augen von dusseligen Ochsen. Na und? Die hat sie doch täglich in der Hand, immer, wenn sie Köpfe ausschält. Und über zweideutige Witze kann sie gelegentlich auch lachen.  Das ist dumm gelaufen. Morgen hat sie frei, aber am Montag wird sie sich allen Kollegen gegenüber nett verhalten und vielleicht ist Deutschland dann ja Fußball-Weltmeister. So wird sich niemand mehr an ihr schrulliges Gehabe erinnern.
    Oma Käthe ist in der Küche zugange. In der Radiotruhe läuft wie immer Luxemburg. Camillo Felgen moderiert und sagt Drafi Deutscher an. Marmor, Stein und Eisen bricht ...
    Frank arbeitet im Garten, den er liebt und pflegt, wo er kann.
    Thomas hat heute hitzefrei und ist mit seiner Schreibmaschine beschäftigt.
    »Frank will mit euch nachher schwimmen gehen«, sagt Oma Käthe.
    »Das ist knorke«, bestätigt Lotte die Idee und sieht aus dem Fenster. Frank, der in den vergangenen zwei Tagen schon knackbraun geworden ist, schaut zu ihr hoch und winkt. Er nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche, trocknet sich mit dem ausgedienten Zechenhandtuch ab und kommt über die Krume Richtung Haus. Für einen Moment entschwindet er hinter den Schuppen, wo er das Gartengerät verstaut. Dann ist er auf dem Hof. Sein Schritt ist weit ausholend, noch immer federnd und jung. Sein Oberkörper ist muskulös und männlich. Seine weißen Zähne strahlen im Gebirge seines Gesichtes, die blonden Haare kleben in der Stirn. Da ist mal wieder ein

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