Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
herrscht Lotte ihre Mutter an. »Sie kommen am Samstag nach Bergborn. Manchmal ist es besser, es wächst etwas Gras über eine Sache«, Sie seufzt. »Außerdem bist du ja wohl die Letzte, die über das Verhalten einer Mutter gegenüber ihrer Tochter urteilen sollte.«
    »Ach nee, wieder die alte Geschichte?« Oma Käthe legt den Kopf schräg und blickt drein, als habe sie den ersten Zug in einem spannenden Spiel gemacht. »Wieder deine komischen Moralvorstellungen? Wieder deine Verurteilungen? Gott, das kotzt mich an. Ich war dir und deinen Brüdern gegenüber eine zehnmal bessere Mutter, als du von dir behaupten kannst. Abgesehen davon, dass du immer genug Fleisch auf dem Teller hattest.«
    »Und ich habe es uns verdient, währenddessen du …«, fährt Lotte auf.
    »Muttel! Lotte!«, geht Frank dazwischen. »Es reicht!«
    »Aha.« Lotte stemmt beide Hände auf die Tischplatte, beugt sich vor und nimmt Oma Käthe ins Visier. »Daher weht der Wind. Du meinst, ich sei eine schlechte Mutter? Auf jeden Fall bin ich keine, bin ich keine ...« Ihr Mund klappt auf und zu, ihr Blick irrt von Tom hin zu Frank, zurück zu Tom, »... du wirst doch nicht im Ernst erwarten, dass ich dazu jetzt etwas sage, oder?«
    »Schau mal einer an. Sie redet über Gras, das über Sachen wächst«, Oma Käthe lacht hart. »Und hat nach zwanzig Jahren ihren Rasen noch immer nicht eingesät. Stattdessen wälzt sich unsere liebe, ach so Moralische, in Scheiße, die sie verteilt wie andere Leute Dauerlutscher. Du solltest dich schämen. Deine blöden kindischen Verurteilungen kannst du nicht vergessen, aber an deinen Vater erinnerst du dich keine Sekunde!«
    »Um Himmels willen!«, keift Lotte. »Das ist alles sehr lange her und ich weiß heute kaum noch, wie er aussah. Ich erinnere mich an einen Mann, der sehr gelehrt war und schnell mit der Hand bei der Sache, wenn ihm etwas nicht gefiel. Sehr schnell! Was erwartest du also von mir?« Lotte schlägt mit der Handfläche auf den Tisch, sodass Messer und Gabeln tanzen. »Was weißt du denn über meine Gefühle? Wann haben die dich jemals interessiert? Und mache dich bitte, bitte nicht mit Vater wichtig!«
    »HÖRT AUF!«
    Alle wenden sich zu Tom hin, der seine Mutter unterbrochen, der widerborstig seine Arme vor der Brust verschränkt hat, das schmale Kinn vorgeschoben. Noch einmal, diesmal leiser, bittet er: »Hört auf, euch zu streiten.« Dabei schaut er seine Mutter argwöhnisch an und zieht den Kopf zwischen die Schultern wie eine hagere Schildkröte, als befürchte er, eine Ohrfeige zu kriegen. »Wir wollten doch ins Schwimmbad?«
    »Er hat recht«, bestätigt Frank und tritt neben seinen Sohn. »Es ist doch immer das Gleiche mit euch beiden. Jedes Mal dieselben Beschuldigungen. Es wird Zeit, dass ihr das miteinander klärt. Dafür ist jedenfalls jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Lasst uns essen. Danach gehen wir ins Schwimmbad und kühlen uns ab. Basta!«
    Es zischt im Topf, der auf dem Ofen steht, Dampf steigt auf, es fängt an zu stinken, Oma Käthe stürzt dahin, rührt versessen und flucht unentwegt.
    Lotte stapft zum Fenster und starrt in die Mittagshitze hinaus.
    Oma Käthe dreht sich vom Ofen um und sagt anklagend: »Seht ihr, das habt ihr jetzt davon. Die Linsen sind angebacken.«

9
     
    An der Kasse des städtischen Schwimmbads drängeln sich Menschen aller Altersgruppen, schleppen Decken, Campingtaschen, Sportbeutel, Radios, Federballspiele, aufblasbare Niveabälle und einige haben sogar eine echte Lederpocke dabei. Die Warteschlange windet sich wie ein buntfarbiges Kriechtier zur Kasse hin, wo ein schwitzender Mann lustlos den Eintritt kassiert.
    Der Chlorgeruch ist überwältigend, gemischt mit Bratwurstdämpfen, dem Schimmer süßer Schaumfrösche, Kinderpipi, Bier und Tabak. Wer sucht, nimmt vielleicht noch etwas vom Grün der Liegewiese wahr, ansonsten ist hier nicht mehr viel zu sehen von frischer Natur, vielmehr bilden die Liegedecken ein buntes Mosaik bürgerlicher Gemütlichkeit. Decke an Decke liegen die Besucher, Jung und Alt, viele drehen an ihren Transistorradios, sodass die Wiese von einem Konglomerat diskrepanter Töne und Melodien erfüllt ist.
    Wanstige Männer treten einen Ball in den Himmel, schön steil und hoch, damit man ihm hinterher starren kann, wie einem Kometen, der der Gravitation widersteht, ihre Späne pöhlen gegen die gesteppte Lederkugel, klatsch !, und wieder schießt einer, klatsch !, und es ist ein Wunder, dass sich niemand an dem

Weitere Kostenlose Bücher