Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
die sie auf das Schreibpult legt wie zwei Melonen, die Dümmste der Klasse, die ihm zublinzelt und zerfledderte Heftchen unter dem Pult zusteckt, wilde Geschichten, bei denen Tom rot anläuft und mit seinen Empfindungen nicht mehr ein noch aus weiß, Beatrice, die ihm viel zu wissend ist, beängstigend wie ihre Oberweite und die Zahnlücke an den Schneidezähnen.
Dann gibt es junge Frauen, deren Haut frisch von den Kinoplakaten strotzt, geöffnete Lippen, verhangene Augen, wallende Haare. Aufklärungsfilme!
Toms Hand stiehlt sich in die Schlafanzughose und behutsam umfasst er seine Erektion, die aus den neu gewachsenen Härchen hochragt. Viel hat er über das gehört und gelesen, was man mit dieser widrig wohligen Härte machen kann, versucht hat er es noch nie. Seine Finger gleiten auf und ab, ganz langsam. So funktioniert das, nicht wahr? So recht glaubt Tom nicht, dass etwas geschehen wird, etwas Erstaunliches möglichenfalls. Auf dem Schulhof wird viel Unsinn geredet und in den Schmutzheften steht so manches, was man nicht glauben kann, selbst wenn man wollte.
Immer begieriger wird die Bewegung seiner Hand, ungeahnte Empfindungen gleiten über Toms Körper, wie nackte Haut, wie, wie, wie alles, was er auf den Kinobildern gesehen hat, was diffus, dennoch vorhanden, in seinen Fantasien spukt; sein Atem geht schneller, die Augen bleiben geschlossen, denn wer weiß, was geschieht, wenn er sie öffnet; ungestüm reißt er seine Hose von den Hüften, klammert sich an sein Fleisch, drückt den Oberkörper in die Abendkühle und sichert seinen Schrei, sein Ächzen, sein Knurren, indem er in den Handballen beißt. Heiß, fließend bis in die Haarspitzen, durchfährt ihn ein funkensprühendes Glissando, bislang unempfunden; krampfartig ergießt er sich auf seinen Bauch und wer weiß wohin noch, bis es abschwingt, er ermattet, keuchend zurückkommt aus einem Distrikt, den er nun entdeckt hat und in derselben Minute erneut betreten will. Denn dieses Erlebnis war ein echter Knalleffekt, etwas auf das man gerne zurückkommt, wenn auch die Klebrigkeit und die Konsistenz dieser weißlichen Flüssigkeit, die in seinem Körper entstanden ist und diesen nun verlassen hat, einschüchternd wirkt.
Er nimmt sich selig lächeln wahr und genießt die weiche Entspannung. Euphorisiert fragt er sich, ob er jemals über das soeben Erlebte schreiben wird. Nein, gewiss nicht!
In tiefer innerer Befriedigung möchte er aufspringen und rufen, jubeln, mitteilen: Ich bin ein Mann! Seht her, ich bin jetzt ein Mann!, und schweigt doch, während die Stimmen der Familie nebenan immer lauter werden, im erwachsenen Kosmos der Ärgerlichkeiten heiß disputierend.
Und wieder eine der Erinnerungen, die bleibt.
Seht her, ich bin ein Mann!
Es ist so viel Gefühl in Tom, derart überschäumend, dass es für eine ganze Weile auslangen, Mut machen, erneuern, verändern und prägen wird, Gefühl, das er für sich beansprucht, denn es gibt kein Erkennen ohne Gefühl, keine Handlung, keine Wahrnehmung ohne Gefühl und schon gar keine Erinnerung.
7
Unser Leben bricht in Stücke!, denkt Lotte Wille und kommt dahinter, dass über der Veränderung stets ein Hauch von Unbegreiflichkeit liegt. Sie hat sich mit einem Lappen die Hände von Blut und Gestank gereinigt und wartet auf weitere Anweisungen von Fleischermeister Nelkenmeyer.
Ihre Gedanken schweifen ab und sie erinnert sich an Gina, die gestern bei Rampfs angerufen und klar Schiff gemacht hatte, wobei sie stinksauer war. Was nur in Lotte gefahren sei, wollte sie wissen. Salvatore, der schöne Italiener, sei der Neffe eines Geschäftspartners und Ottilie sei unterwegs gewesen, um eine Bestellung bei dessen Onkel aufzugeben, der einen Großhandel für italienische Mode führt. Wenn möglich, brachte Salvatore Ottilie mit dem Moped zurück zu Ginas Modeladen, nur aus Nettigkeit, damit sie den Weg nicht laufen müsse.
Lottes Verhalten sei blamabel gewesen und habe Ottilie vor allen Augen diskreditiert. Die Kleine sei bittertraurig und nicht gewillt, nach Hause zu kommen.
Zudem sei auch sie, Gina, ungehalten, weil Lotte ihr gegenüber einen Vertrauensbruch begangen habe. Vielleicht solle Lotte sich mal eine Auszeit nehmen, bevor sie wie ein aufgescheuchtes Huhn mit Anschuldigungen um sich werfe.
Lotte merkte, dass Gina sich bemühte, ihre Wut im Zaum zu halten. Ottilie sei sehr traurig, aber man wolle ein paar Tage verstreichen lassen und am Samstag zum Fußball-Endspiel nach Bergborn kommen.
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