Alles auf Anfang
Clyde.«
»Mein Dad weiß nicht, dass ich ihn genommen habe«, sagte ich und wünschte, ich hätte ihr die Wahrheit gesagt. Ich war tatsächlich eine Art Gangster, aber das wurde mir nicht angerechnet.
»Und meine Mom weiß nicht, dass ich die Schule schwänze.« Sie gab dem Gewand der Jungfrau Maria einen Stups und sah zu, wie die Figur hin und her tanzte. »Ich bin auch katholisch.«
Also verliebte ich mich prompt, während Mick Jones aus den Lautsprechern kreischte, die Jungfrau Maria hin und her schaukelte, Maureens schmutzige Füße auf dem Armaturenbrett lagen. Es war nicht ihr Aussehen, obwohl ich sie hinreißend fand. Sondern ihre Furchtlosigkeit. Sie hatte überhaupt keine Angst vor mir. Die Mädchen an der Mahlus High tendierten dazu, mich wie Lenny aus Von Mäusen und Menschen zu behandeln; sie dachten, wenn ich beim Petting zu sehr in Fahrt komme, könnte ich womöglich allzu kräftig zupacken und ihnen das Genick brechen. Maureen dagegen saß völlig entspannt neben mir. Wir glitten durch das Ackerland, und ich dachte nicht mehr an meinen Hunger; ich dachte nicht mehr an Tommy Byrnes Jr. und seinen Vater, die inzwischen bestimmt die Polizei riefen; ich dachte nicht mehr an den Biologietest und die Golgi-Apparate.
Es gibt wenige Momente im Leben, in denen man wirklich und wahrhaftig glücklich ist, und man weiß, dass man dafür dankbar sein muss. Noch während man einen solchen Moment erlebt, verspürt man bereits Sehnsucht nach ihm, verwahrt ihn in seinem Erinnerungsbuch. Ich war sechzehn Jahre alt und bereits linker Außenstürmer in der zweiten Football-Mannschaft von New Jersey; ich war in einem mitternachtsblauen Cadillac Eldorado unterwegs nach Kalifornien; mein Navigator kannte die Texte der Clash-Songs und lackierte sich die Zehennägel silbern. Ich war ein Sieger.
Am Burger-King-Drive-in kauften wir Whopper und Pommes und Zwiebelringe und Milchshakes, einmal Vanille, einmal Erdbeer. Das Mädchen am Fenster war auf eine nachlässige Art hübsch, hatte schmale Lippen und trug dunkelblauen Lidschatten. Sie funkelte mich an, als ich ihr die Kreditkarte hinhielt, und schüttelte den Kopf.
»Nur gegen bar. Keine Schule heute, Reen?«
»Keine Schule dieses Jahr, Lannie?«
»Ist das dein Neuer? Wo hast du denn das Auto her, Neuer?«
Ich hatte das Handschuhfach aufgeklappt und kramte nach verirrten Münzen oder Scheinen. Maureens Beine, nackt unterhalb der weißen Fäden der ausgefransten Shorts, rochen nach Seife und Schweiß und Gras. Das eine Knie war aufgeschürft und begann zu verschorfen. Ich schaute hinauf in ihr Gesicht, und sie sah mich an, zog routiniert eine Augenbraue hoch.
»Wie sieht’s aus, Reen, hast du für jeden Wochentag’nen andern?«
Maureen streichelte mit der Hand über meinen Bürstenschnitt und lächelte das Mädchen an. »Du schmierst dir zu viel Make-up ins Gesicht, Lannie.«
Lannies schmale Lippen kräuselten sich verächtlich, als sie sich aus dem Fenster lehnte. »Du hast da’ne echte Schlampe in deinem Auto sitzen, du reicher Pinkel. Wahrscheinlich hat sie dir schon dein ganzes Bargeld geklaut.«
Maureen zog einen Zehn-Dollar-Schein aus der Hosentasche und reichte ihn mir. Ich richtete mich auf, gab Lannie das Geld und nahm das Wechselgeld und die Tüten mit dem Essen. »Burger King dankt für den Besuch«, sagte sie zu mir und schob das Fenster zu.
Wir fuhren weiter Richtung Westen, kauten geistesabwesend auf unseren Hamburgern herum. Als feststand, dass Maureen nicht vorhatte, mir irgendetwas zu erklären, sagte ich: »Steht ihr auf denselben Typen, du und Lannie, oder was?«
»Sie ist meine Cousine. Sie ist gar nicht so übel. Aber das Kaff hier treibt dich mit der Zeit in den Wahnsinn.« Sie seufzte und ließ einen Zwiebelring um ihren Zeigefinger kreisen.
»Ich fahre nach Kalifornien«, verkündete ich. »Wenn du willst, kannst du mitkommen.«
»Prima«, sagte sie. »Wieso nicht?«
»Das Abendessen bezahle ich mit der Kreditkarte.«
Nachdem wir gegessen hatten, stieß Maureen dezent auf, den Handrücken vor den Mund gelegt, und sagte: »Jetzt brauchen wir ein Dessert. Magst du Schokolade?«
Während der Ringkampfsaison trat ich im Schwergewicht an, was bedeutete, dass ich bei Wettkämpfen und Turnieren nicht mehr als hundertfünfundzwanzig Kilogramm auf die
Waage bringen durfte. Im Herbst davor hatte ich fast hundertsechsunddreißig gewogen, und als der Winter kam, musste ich zum ersten Mal in meinem Leben abnehmen; also joggte ich in einem
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