Alles auf dem Rasen
Stop: B
Stadt: Brenzlberg, Bauptstadt der BRD
In B. leben zu viele Hunde. Das wissen alle, selbst die Hunde. Manch einer ahnt, dass es auch zu viele Menschen gibt, in B., in BRD, besonders im beliebten Brenzlberg. Wenig bekannt jedoch ist der akute Katzenmangel. Nur einzelne Menschen versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Ihnen gebührt unser ganzer Dank.
Der Bosnier kam auf die Straße gerannt, als brenne oben das Haus, und packte die Erstbeste am Ärmel. Das war ich. Man geht so leicht mit, wenn einer Hilfe braucht und ihm die Verzweiflung aus den Augen spricht.
Das Bett in seiner Wohnung im Block Brenzlberg war rein aus Rottönen erbaut. Dunkellila, Bordeaux, Hellviolett, Rot. So viele Kissen, so viele Teppiche, Überwürfe, Polster, Laken und Plumeaus. Bitte Schuhe ausziehen. Von der Decke hing, am Haken befestigt, eine einfache Werkstattlampe mit roter Glühbirne, die ehemals nicht hineingehört hatte. Sie beleuchtete den Raum weniger, als dass sie ihn einfärbte, und ich glaubte, das letzte Stündchen meiner Unversehrtheit habe geschlagen.
Es war ein Mädchen. Die Nabelschnur, trocken wie ein abgestorbener Zweig, stak ihm aus dem winzigen Bauch. Das ganze Wesen war nicht länger als mein kleiner Finger. Kaum in der Lage zu fressen, wusste sie schon, wie man schnurrt, obgleich um sie herum nichts existierte, das des Anschnurrens wert gewesen wäre – nur Riesenhände in der totalen Dunkelheit hinter ihren fest verschlossenen Lidern, jederzeit in der Lage, ohne Kraftanstrengung ein dünnes Genick zu brechen. Dazu fahle Rotlichtwärme auf dem kleinen Fell und der Glasfels einer Pipette zwischen zahnlosen Kiefern, viel zu groß, den Geschmack synthetischer Menschenmuttermilch ausschwitzend. Und doch schnurrte sie, gar nicht mal leise, und gebrauchte den ganzen Körper dazu. Freischein in den Westen: Sie war erst gestern eingereist, ohne Papiere, geschmuggelt in einem gepolsterten Joghurtbecher mit eingestochenen Luftlöchern im Plastikdeckel.
Ich wollte telephonieren, 110, 112 oder die veterinärmedizinische Notfallklinik, aber ich sollte sie nur festhalten, wiegen, warten, halten, ganz leise reden und dem Schnurren lauschen. Im Morgengrauen suchten wir gemeinsam ein Grab in den Straßen von B. Keine Heiße Asche Einfüllen ersetzte das Ruhe Sanft .
Nun ist mir die Stadt zum Friedhof geworden. Eine Nekropole ist sie, diese Kapitale der Coolen, Moloch modischer Mittdreißiger, Auffanglager für Nachwuchskünstler aus dem Südbadischen, die »Berlin« für einen Beruf halten und »Icke« sagen lernen, so wie man »Dobro dośli« sagen kann, herzlich willkommen, was in Bosnien, wie mir erzählt wurde, auf allen Schildern steht. In B. ist jede schwarze Mülltonne ein Grabstein, ewiger Aufbewahrungsort für winzige Einsamkeiten, deren viertägiger Lebensweg vom Dunkeln ins Dunkle führt. Was mag sich erst in den blauen, gelben und grünen Tonnen befinden? Buntes B., du verursachst Brechreiz an manchen Tagen und kannst nicht einmal etwas dafür. Die schwarzen Tonnen berühre ich im Vorbeigehen leicht mit den Fingern. Leb wohl, sage ich, kleines Ding, und schon wieder verschwimmen mir die Augen vor der Welt.
Neulich sah ich den Bosnier wieder. Er reichte mir die Hand. Es waren die Kratzspuren einer jungen, glücklichen, deutschen Katze darauf.
Land: Barajevo in B-Land
Ihr Schnecken B-Lands, ich bitte euch, bleibt den Wegen fern. Wenn es geregnet hat, wie die Berge rings um Barajevo es mögen, so kurz und heftig, dass die Stadt mit einem einzigen erschreckten Atemzug ihre Menschen verschluckt; wenn Bäume sich furchtsam gen Mekka verneigen und Steilhänge die Straßen zu ihren Füßen mit Geröllbrocken beschießen – dann kommt ihr Schnecken B-Lands zu Abertausenden aus der Böschung auf den Weg gekrochen.
Dieser Weg ist asphaltiert, damit er unter den Tritten nicht explodieren kann. Hand in Hand mit der dünnen Flüssin Miljacka verlässt er ostwärts die Stadt, dem Canyon folgend, an dessen Hängen die Reste von Häusern wie Sondermüll lagern. Dieser Weg, auf dem ihr, liebe Schnecken B-Lands, nach dem Regen gern sitzt, wird benutzt. Die federnden Fußballen der Jogger tätscheln ihm den Rücken. Mountainbikereifen zischen über ihn hinweg. Spaziergänger, paarweise mit Kinderwagen und Hundeleinen, promenieren an seinen Rändern entlang. Inline-Skater, die Hände wie Oberkellner auf den Rücken verschränkt, grätschen gen Horizont. Von ihm aus starten Freeclimber ihre vertikalen Ausflüge die
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