Alles auf dem Rasen
Wir müssen los, Technik aufbauen.
Stand up for your rights, sit down for your pippie: Selbst das WC ist ein Kunstwerk aus tausend kleinen Lichtern und blauer Farbe. Ansonsten hat das »Kaleidoskop« rot bemalte, schräge Wände, antike Spiegel, überall Kerzen in verschiedenen Leuchtern, einen knarrenden Holzboden, Balken an der Decke, Bücher in den Ecken und die starke Atmosphäre von Räumen, in denen Menschen mit Herz und Händen eine Idee verwirklichen. Wir könnten überall sein, in Paris, Prag, auch in New York. Jasmina positioniert ihre Geräte auf einem ovalen Tisch mit orientalischen Mosaiken. Professionelle Geräte, gebraucht gekauft, ein Glücksfall, denn Ausrüstung und Platten sind teuer und schwer zu beschaffen. Von ihrer Arbeit als DJ könnte sie inzwischen gut leben, aber dann müsste sie jedes Wochenende auflegen, hätte weniger Zeit für anderes und könnte nicht auf Honorare verzichten. Für den Abend heute bekommt sie ein Buch mit Widmung vom »Kaleidoskop«.
»Kleine Clubs haben wenig Geld«, sagt sie. »Aber das heißt nicht, dass es schlechte Clubs sind.«
Jasmina will sich selbst und ihre Eltern über die Runden bringen. Darüber hinaus spielt Geld keine Rolle. Und in Zukunft? Es wäre schön, von der Musik zu leben, aber das geht in Bosnien nicht, darüber macht sie sich keine Illusionen. Karriere im Westen? Sie schüttelt den Kopf.
»Warum? Ich werde in diesem Land das Leben führen, das ich mir wünsche.«
Mit Sicherheit braucht ein Land wie Bosnien Menschen wie Jasmina mehr als alles andere.
Jasmina and friends: Die Vorgruppe beendet ihren Auftritt, DJ Klemens, in Turnschuhen, Anzug und bedruckter Krawatte, verbeugt sich mit ausgebreiteten Armen hinter dem Mischpult. Jasmina hat schon zu seinem Synthesizer-Mix zu scratchen begonnen. Kaum hat sie die Kopfhörer aufgesetzt, sieht sie aus, als wäre sie damit geboren worden. Ruhig und konzentriert beginnt sie mit dem Auflegen. Das »Kaleidoskop« ist gestopft voll, das grüne Heineken-Tablett des Kellners surft über die Menge aus Köpfen. Als Erstes beginnen die Mädchen zu tanzen, obwohl kaum Platz ist, um sich zu bewegen.
»Jasmina, I’m your room-mate!«, brüllt Senada von ganz hinten.
Jasmina grüßt mit den Augen. Sie unternimmt nicht die geringste Anstrengung, um im Mittelpunkt zu stehen. Und deshalb steht sie genau dort. Im schlichten, schwarzen T-Shirt, den Dreck unseres Nachmittagsspaziergangs noch an den Schuhen.
Wir legen Notizblock und Kamera weg. In der bosnischen Hölle wird gefeiert, und es ist wirklich eine der angenehmsten der Welt. Jasmina blättert in ihrem Schallplattenkarton wie in einem Karteikasten.
»Dazu hat schon meine Mutter getanzt!«, ruft sie.
Frank Sinatra bekommt eine Bassspur verpasst, dass die Holzbalken beben. Wer noch gesessen hat, steht auf. Jetzt hat Jasmina den Raum gepackt. Junge Leute aus Sarajevo und Travnik, ein paar Männer von der internationalen Polizeitruppe aus Deutschland, Irland oder Schweden, Mitarbeiter von SHL, wir – alles schwingt im selben Takt. Der Rest der Welt ist draußen.
Easy like Sunday morning: Um zwölf am nächsten Tag sind wir wieder im »Kaleidoskop«, erkennen viele Gesichter vom Abend zuvor, ein bisschen müde, Kaffeetassen vor den Mündern. Sie begrüßen uns wie alte Bekannte. Salim, Student an der Musikhochschule in Sarajevo, improvisiert am elektronischen Klavier. Jasmina lehnt entspannt in einem Sofa.
»Wenn du drei Wünsche frei hättest«, frage ich sie, »was würdest du wünschen?«
»Jedes Fräulein würde antworten: den Weltfrieden!«, sagt sie. »Aber ich wünsche mir viel Gesundheit und ein Musikstudio für Alternativa Nova . Und eine übernatürliche Kraft.«
Ein Musikstudio, denke ich, wird sich auch noch finden lassen.
2002
Aus den falschen Gründen
E s ist eine anstrengende Sache, mit alten Menschen an Orte zurückzukehren, die ihnen in der Vergangenheit etwas bedeutet haben: Ach was, da ist jetzt ein Internetcafé! Und dort war doch dieses Blumengeschäft, wo ich früher immer … Und guck, die alten Häuser, einfach verschwunden, dafür so ein Neubaublock … Die Zeiten ändern sich.
Mein Freund F. und ich fahren nach Mostar ins Herz der bosnischen Herzegowina. Nicht mehr als zwei Jahre sind seit unserem letzten Ausflug vergangen, und das grausig-schöne Gesicht der zerschossenen Vielvölkerstadt steht uns noch überdeutlich vor Augen. Mühelos finden wir den gewohnten Parkplatz, stellen den Wagen ab, stöhnen über die Hitze,
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