Alles auf eine Karte
Ein faszinierendes Phänomen. Achten Sie mal darauf. Ich frage mich, um wie viel höher der Anteil der Schnurrbartträger unter den Polizisten und Wachleuten ist, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung.«
»Ihnen fällt ganz schön viel auf, stimmt’s?«
»Kann schon sein.« Ich zuckte die Achseln. »Ach, Mist.«
»Was ist los?«
»Entschuldigen Sie, mir ist nur gerade eingefallen, dass ich vergessen habe, American Idol aufzunehmen.«
Jake prustete los. » American Idol ? So etwas sehen Sie sich an?«
»Und ob«, entgegnete ich. »Das ist meine Lieblingssendung.«
» American Idol ? Ist das Ihr Ernst?«
»Jawohl. Letztes Jahr war ich sogar beim Abschlusskonzert.«
»Okay, ich werde einfach so tun, als hätte ich das nicht gehört«, erklärte Jake grinsend.
Herrje. Hatte ich wirklich gerade verraten, dass ich mir das American Idol- Konzert angeschaut hatte, und das, nachdem wir über den Krebstod meiner Mutter und meine verkorkste Kindheit geredet hatten? War ich eigentlich noch ganz dicht? Er brachte mich derart aus der Fassung, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich redete. Der Alkohol war in dieser Situation auch nicht eben hilfreich. Ich fühlte mich benebelt und hatte bereits die Hälfte von dem vergessen, was ich vor fünf Minuten von mir gegeben hatte. Auch der verschwitzte Chuck war nur noch eine verschwommene Erinnerung. Gott sei Dank.
Ich schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Reiß dich zusammen, befahl ich mir.
»Äh, Sie sagten vorhin, unter anderem stört Sie, dass Sie sich nicht aussuchen können, wo Sie leben. Was stört Sie noch so an Ihrer Arbeit für die NBA ?«, erkundigte ich mich.
»Wenn ich Ihnen das sage, lachen Sie mich aus.«
»Das Risiko müssen Sie eingehen. Also, raus mit der Sprache.«
Er räusperte sich. »Nun, manchmal ist es schwierig …«
»Jake McIntyre! Ich habe mir doch gedacht, dass ich dich hier antreffen würde.«
Wir fuhren herum und sahen uns einer superschlanken Brünetten mit Gardemaß gegenüber, deren Haare, selbst der Pony, genauso glatt und makellos waren wie der Rest ihrer Erscheinung. Sie rückte Jake ungeniert auf die Pelle. Ein Glück, dass er stand, sonst hätte sie sich garantiert auf seinen Schoß gesetzt.
Er errötete, und mein ohnehin schon angeschlagenes Selbstvertrauen verpuffte endgültig.
»Hallo Carolyn. Wie geht es dir?«, sagte Jake.
»Hervorragend, mein Lieber. Die neue Kollektion für Prada hält mich ordentlich auf Trab, aber abgesehen davon ist alles wunderbar. Am Montag geht es nach New York, pünktlich zu Beginn der Wintersaison.«
Dann wandte sie sich mit einem frostigen Lächeln an mich. »Tag, ich bin Carolyn Weller.«
»Waverly Bryson«, murmelte ich und kam mir plötzlich vor wie eine Sechstklässlerin in der Umkleide der Schulsporthalle. Wie konnte ein so spindeldürres Wesen mit derart üppigen Brüsten ausgestattet sein?
Carolyn kehrte mit ihrer Aufmerksamkeit zu Jake zurück, genauer gesagt, sie legte ihm einen Arm um die Taille und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihm ein Lachen entlockte. Das war dann wohl mein Stichwort für einen diskreten Rückzug. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, murmelte ich, was die beiden gar nicht zu registrieren schienen, also verzog ich mich unauffällig und drängte mich durch die Massen zur nächstgelegenen Bar, um mir einen weiteren Drink zu bestellen.
Okay. Also zurück zum ursprünglichen Plan: Volltanken, bitte!
*
»Achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig. Fünfzig. Fünfzig. Fünfzig.« Ich saß auf einem Barhocker an einem Bistrotisch in der Ecke des Saals und zählte laut die weißen Rosen in der Vase neben mir. »Fünfzig Rosen, das sind fünf Dutzend. Nein, das sind sechs Dutzend. Ach, verdammt, ich habe keine Ahnung, wie viele Dutzend Rosen das sind.«
Ich stierte mein halbleeres Glas an. Wie viele Drinks hatte ich mittlerweile intus? Und wie lange saß ich hier schon? Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn man den Überblick verloren hat.
Ich starrte auf die verschwommene Menschenmenge, die sich rund um mich tummelte. Was hatte ich denn erwartet? Wie hatte ich nur denken können, Jake sei an mir interessiert? Warum sollte er? Er hatte lediglich ein bisschen Smalltalk betrieben. Reine Höflichkeit. Mein Dad hatte Recht. Aaron hatte Recht. Ich hatte Recht. Ich war ein Mängelexemplar, dazu verdammt, ganz hinten im Regal vor mich hinzuschimmeln, bis ich endgültig aussortiert wurde.
Ich rutschte von meinem Barhocker, wobei ich mich krampfhaft daran
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