Alles auf eine Karte
wie ich ins Hotel gekommen war. Hatte mich Jake so gesehen? Hatte mich sonst irgendjemand so gesehen?
Wenn man vor Scham sterben könnte, dann hätte an diesem Morgen zweifellos mein letztes Stündlein geschlagen. Ich betrachtete den Leberfleck auf meinem linken Fuß. Man hätte mich leblos in der Dusche aufgefunden, der Gerichtsmediziner hätte den Tod durch Beschämung festgestellt, und dann hätte man McKenna einfliegen lassen, um meine nackte Leiche zu identifizieren. Damit wäre zumindest dieser dämliche Leberfleck auf meinem Rist, den ich seit jeher gehasst habe, endlich zu etwas gut gewesen.
Okay. Bislang war es reine Spekulation gewesen, jetzt war es offiziell: Ich war der größte Loser aller Zeiten.
*
Um acht Uhr hielt der Aufzug im Erdgeschoss, und die Türen öffneten sich. Mein Magen vermittelte mir allerdings das Gefühl, als würden wir uns noch bewegen. Mit weichen Knien und einer dunklen Sonnenbrille auf der Nase trat ich hinaus in die Lobby. Dass ich von Kopf bis Fuß Schwarz trug, war Ausdruck meines Gesamtzustandes nach der gestrigen alkoholbedingten Nahtoderfahrung. Ich checkte aus, vertraute dem Concierge meinen Koffer an und begab mich in den Frühstücksraum. Ich brauchte Kaffee und eine große Portion Rührei. Rührei mit Käse und einer ordentlichen Prise Salz ist das beste Anti-Kater-Hausmittel, das es gibt. Das ist eine der wenigen Erkenntnisse, die ich meiner Zeit auf dem College verdanke.
Ich setzte mich an einen Tisch und bestellte eine Tasse Kaffee, dann nahm ich die Sonnenbrille ab und sah mich um. Sowohl die Lobby als auch das Restaurant waren so gut wie leer. Hoffentlich schaffte ich es, die Fliege zu machen, ohne mit jemandem reden zu müssen.
Stöhnend ließ ich den Kopf in die Hände sinken. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass ich je einen derartigen Kater gehabt hätte. Jedenfalls nicht mehr, seit ich Aaron kennengelernt hatte, der nie viel trank. Ich war sicherlich nicht die Einzige, die einen gut gemixten Cocktail zu schätzen wusste, aber musste ich mich deswegen gleich in einer mehr oder weniger öffentlichen Toilette übergeben? Und das, nachdem mir zum ersten Mal seit der Trennung von Aaron ein Mann über den Weg gelaufen war, den ich interessant fand. Ich hatte es gründlich vermasselt, noch ehe unser erster gemeinsamer Tanz vorüber gewesen war. Reife Leistung.
Eine Stunde später ging ich an Bord meines Fliegers, und obwohl mir der Kopf dröhnte und ich drei Tassen Kaffee getrunken hatte, schlief ich binnen kürzester Zeit tief und fest. Ich träumte, dass mich der Kapitän besuchen kam, um mit mir zu plaudern. Er hieß Chuck und behauptete, wir hätten uns am Vorabend in einer Bar kennengelernt, und er erbot sich, mir einen Rookie auszugeben, wenn ich ihn dafür ins Cockpit begleiten und mich auf seinen Schoß setzen würde.
Ich erwachte erst wieder, als wir in San Francisco landeten. Ich hatte fast fünf Stunden geschlafen. Wir mussten eine gefühlte Ewigkeit warten, bis wir endlich von Bord gehen durften, und natürlich sprangen sämtliche Passagiere von ihren Sitzen auf, sobald die Maschine zum Stillstand gekommen war. Ich hatte einen Sitzplatz am Gang, und das Ehepaar neben mir stand mindestens fünf Minuten über mich gebeugt da, obwohl doch jeder weiß, dass es immer noch eine ganze Weile dauert, bis sich die Türen öffnen. Manche Leute werde ich nie verstehen.
Es war kurz vor zwei, als ich endlich zu Hause war, und trotz meiner Marathon-Siesta über sieben Bundesstaaten hinweg war ich nach wie vor erschöpft. Ich schleppte mich ins Schlafzimmer, ließ meinen Koffer auf den Boden plumpsen, zog die Schuhe aus und ging unter der Bettdecke auf Tauchstation. Und dort wollte ich bleiben bis zum Jahr 2037.
Es heißt doch oft, es gibt nichts Schlimmeres als Warten …
Von wegen, Süße. Das Warten ist oft angenehmer als das dicke Ende am Schluss.
KAPITEL 6
Als ich am Sonntagmorgen die Augen aufschlug, wusste ich erst nicht, wo ich war. Etwa sechs Sekunden lang war mir selige Unwissenheit vergönnt. Dann fiel mir alles wieder ein, und ich vergrub stöhnend den Kopf unter dem Kissen.
Wenigstens hatte sich der Kater mittlerweile in Luft aufgelöst.
In Morgenmantel und Pantoffeln schlurfte ich in die Küche, um Kaffee zu machen. Dann verfolgte ich an den Tresen gelehnt, wie die braune Flüssigkeit gemächlich in die Kanne tröpfelte. Es schien Stunden zu dauern. Als würde sich die Kaffeemaschine absichtlich Zeit lassen, weil ich danebenstand und
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