Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Brötchen auf und überreichte ihm selbstlos die obere Hälfte.
»Was ist los, Süßer? Du guckst gar nicht fröhlich! Heute ist ein schöner Tag!«, versuchte ich den mir gegenüber sitzenden, ungewöhnlich ernsthaft dreinschauenden Jubilar aufzumuntern.
»Mhm!«, grummelte er. »Ich weiß nicht, ob es schön ist, vierzig Jahre alt zu werden!«
»Hör auf, es gibt auch ein Leben nach der Vierzig! Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede!«
»Ich fühle mich so alt … und überhaupt!«
»Du bist nur müde.« Ich war empört, denn ich bezog seine Äußerung sofort auf mich, die Ältere in unserer Beziehung. »Wir sind doch noch nicht alt!«
»Weißt du, wie alt ich meine Mutter fand, als die vierzig war und ich schwer pubertär? Ich fand sie so alt, dass ich mir nicht einmal vorstellen konnte, dass Eltern noch Sex haben könnten.«
»Soll das eine Entschuldigung sein?«, fragte ich scherzhaft. Um Missverständnissen vorzubeugen, lachte ich extra laut und erklärte meinem leicht verzweifelten Geburtstagskind: »Wenn man jung ist, hat man keine Ahnung vom Altsein. Das ist auch heute noch schwierig. Mit vierzig sind wir nicht alt!«
»Sondern? Wie kann man unsere Altersgruppe sonst bezeichnen, wenn wir NICHT die Alten sind? Sind wir nicht in der Mitte des Lebens? Oder in der Midlifecrisis? Best Agers? Silver-Hair-Fraktion?«
»Was hältst du von der Mittlebenserfahrungsgelassenheitsgeneration?«
Doch Carsten hörte gar nicht zu und fuhr unbeirrt mit seiner Jammeransprache fort: »Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wir zunehmend zu fünfzigsten Geburtstagen eingeladen werden, uns erste Zipperlein einschränken, Krankheiten und sportliche Fitness zu Hauptgesprächsthemen werden und wenn wir nach jeder noch so harmlosen Party mindestens zwei Tage Ruhezeit brauchen – wie würdest du das nennen?«
»Bei dir? Altersdepressionen!«
Plötzlich mussten wir beide lachen.
Ab vierzig ist man eben nicht alt! Und erst recht nicht ernsthaft krank. Und Carsten war es schon mal überhaupt gar nicht. Wir sind so dazwischen. Zwischen Babybrei und Seniorenteller, zwischen Caipirinha und Franzbranntwein, zwischen Ferrari und Rollator. So dachte ich jedenfalls an diesem Tag.
»Du freust dich ja so?«
Carsten stopfte sich ein Marmeladenbrötchen in den Mund und hob fragend die Augenbrauen. Ich griff über den Frühstückstisch nach seiner Hand.
»Weil du jetzt endlich auch alt bist!«
Carsten spielte den Empörten und entzog sich meinem Klammergriff, um mich unter dem Tisch ins Knie zu kneifen. Ich sprang unter lautem Kreischen auf, fluchtbereit.
»So, so!« Carsten war auch aufgestanden und kam mir bedrohlich nah.
»Doch!« Ich versuchte, ihn mit meinen ausgestreckten Armen abzuwehren. »Das Leben fängt dann erst an, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Dackel tot ist!«
»Wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Dackel tot ist?«
»Genau!«
Im Rhythmus zu den von ihm gerappten Worten »Kinder raus, Dackel tot« war Carsten damals durch die Küche gesteppt. Die Arme hatte er dabei so eingestützt wie sonst immer der Restaurant-Tester Rach, direkt unter den Achseln. Auch an diesem Tag brachte er mich mit seiner albernen Hoppelei zum Lachen.
Als das Telefon klingelte, nahm ich ab. Flo war am Apparat. Er ist Carstens Vorgänger und – das Leben ist manchmal komisch – Carstens bester Freund.
»Hi, Sonne!« Er nennt mich immer noch Sonne, obwohl wir schon seit fünf Jahren getrennt sind.
»Du bist so früh aufgestanden, um Carsten zu gratulieren?«, fragte ich ihn.
»Nee, ich muss gleich ins Bett. Ich gratuliere heute Abend bei der Party. Hab nur mal ’ ne Frage: Ist es okay, wenn ich Katie mitbringe?«
»Wer ist denn Katie?«
»Katie habe ich letzte Nacht im Internet kennengelernt. Heute könnte unser erstes Date sein!«
»Doch so flink! Verstehe. Und bei deinem ersten Date willst du gleich mit ihr zum Geburtstag des Freundes deiner Exverlobten gehen? Wie komisch ist das denn?«
»Wir sind noch gar nicht entlobt!«, konterte Flo.
»Wie lustig und originell du am frühen Morgen bist!«
Ich konnte diesen Satz nicht mehr hören. Natürlich waren wir nicht offiziell entlobt. Wie auch? Als wir uns trennten, hatte es zwar weder Streit noch Rosenkrieg, aber auch keine offizielle Entlobung gegeben. Flo war damals einfach ausgezogen, und ich hatte den Verlobungsring ohne Hintergedanken weiter getragen, weil das der einzige teure Ring war, den ich besaß und bis heute besitze. Diesen Tatbestand nutzt nicht nur Flo,
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