Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
geplant, von dem ich nichts weiß? Was erwartet mich? Carsten öffnet mir fast andächtig die Tür. Während wir die steile Treppe zum Gastraum hinabsteigen, hält er mich am Oberarm fest. Das ist auch gut so. Denn von den ungefähr fünfzehn Tischen stehen ganz viele Menschen auf und applaudieren uns. Uns? Ich erkenne zuerst die Kollegen der Theatertruppe, höre Doros Lachen. Rudi steht direkt in der Mitte des Raums und pfeift auf zwei Fingern. Neben ihm steht Gisi und schaut mich an wie ein waidwundes Reh. Ich ziehe meinen Pinguin dicht an mich ran und flüstere: »Was ist hier los?« Aber er hat keine Zeit ausführlich zu antworten und ruft mir – da er von Ronny zur Seite gezogen wird – nur »Party!« zu.
Es beginnt eine Begrüßungsarie. Händeschütteln, Küsse, Schulterklopfen. All unsere Freunde samt ihrer Altersgebrechen sind da: graue und gefärbte Haarschöpfe, Bierbäuche, Brillen, Techniker Tino mit dem Kalk in der Schulter und mittendrin steht Carsten, die Bandscheibe. Meine Schwester lacht aufgedreht und laut. Anka, Petra und Suse stehen neben ihr. Vor allem Suse strahlt mich glücklich an, denn vor wenigen Tagen rief sie mich an und berichtete, dass das Blut ihres Sohnes wieder in normalen Bahnen zirkuliere. Er habe der australischen Veganerin den Laufpass gegeben.
Nach der gefühlten einhundertsten Gratulation zum dritten Kennenlerntag habe ich mich an die Bar der Schiffskneipe vorgearbeitet und bin komplett verwirrt. Ich meine, ich wusste ja, dass sich viele meiner Freunde Sorgen machten wegen meiner immer wieder neuen Lebensabschnittsgefährten, der tragischen Trennungen und der verzweifelten Suche. Aber dass sie sich so über die drei Jahre des Durchhaltens mit ein und demselben Partner freuen, das hätte ich nicht erwartet.Plötzlich steht meine Tochter vor mir, nimmt mich in die Arme und drückt mich ganz fest. Jetzt ist es ganz vorbei mit meiner Fassung, mir kullern die Tränen vor Rührung hinunter und verderben meine Gesichtsrestauration. Mein Kind hier und nicht in Amsterdam!
»Was ist hier nur los, Baby?«
»Carsten schmeißt eine Party! Er hat mir auch den Flug bezahlt!«
»Er hat was?«
Gut, dass Flo auftaucht und ich nicht weiter nachdenken muss.
»Hallo Sonne!« Wieder einmal schiebt er eine Blondine zwischen sich und mich. »Darf ich vorstellen? Das ist Conny!« Ich bin verblüfft. Conny ist zwar blond, aber auf jeden Fall älter als dreißig, sie ist elegant gekleidet, dezent geschminkt, und schon ihre Ausstrahlung und ihr Auftreten lassen erkennen, dass sie keine gehirngepiercte Barbie sein kann.
»Freue mich sehr!«, rutscht mir eine geradezu euphorische Begrüßung raus. »Mensch, Flo, da hast du ja richtig Geschmack bewiesen!«
Flo ist sichtlich stolz, als er sagt: »Sie ist unter mir eingezogen!«Carsten, der den letzten Satz mitgehört hat, klopft unserem Freund auf die Schulter.
»Dann lebt ihr ja wie wir glücklich getrennt unter einem Dach. Das sind die besten Voraussetzungen für eine langanhaltende Liebe!«
Deswegen haben wir so lange nichts von Flo gehört!
Der Lärmpegel schwillt an. Aus den Lautsprecherboxen höre ich Karat. Sie singen »Über sieben Bücken musst du gehen«. Ich spüre in meiner Verwirrung ganz kurz einen ostdeutschen Phantomschmerz, werde von Kumpel Ronnys Blitzlicht und Doros Lachen wieder in die Gegenwart katapultiert und trinke hastig meinen Riesling, den mir Gisi in die Hand gedrückt hat. Sobald es geht, ziehe ich mich heimlich auf die Toilette zurück und atme durch. Hier ist es ruhig. Hier kann ich mich fühlen wie an einem ganz normalen Kabarettabend. Ich betrachte den an der Tür hängenden Veranstaltungskalender. Für heute, den 23. Januar, steht dort »Geschlossene Gesellschaft«. Hat Carsten den Kahn gemietet? Oder ist es das Stück von Sartre? Ich wasche mir eine Minute lang die Hände, da ich wegen des eigenartigen Verhaltens aller Anwesenden Angst vor einer Pandemie habe, und schleiche mich von der Toilette durch die Schwingtüren in den Theatersaal. Die Bühne ist beleuchtet, aus der Garderobe dahinter höre ich Stimmen.
»Hi, Tati. Gratuliere!« Techniker Tino steht an den Reglern. Vielleicht kann ich bei ihm herausfinden, was hier heute los ist.
»Sag mal, Tino, mein Großer – was spielt ihr heute Abend?«
»N-n-n-nichts!« Tino stottert nur, wenn er aufgeregt ist.
»Du verheimlichst mir etwas!«, sage ich streng.
»N-n-nein!«
Dann eben nicht. Ich gehe zurück zur feiernden Meute und entscheide mich, die Party
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