Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
sein, am 23.Januar um 19 Uhr, als ich mit meinem Auto auf der Bleibtreustraße nach einem Parkplatz suchte und Du, angestrahlt vom Schaufensterlicht einer Boutique, frierend durch mein Autofenster einen Blick auf mich erhaschen wolltest, ahnte ich zum ersten Mal, dass es doch noch Märchen geben könnte. Seitdem beweist Du mir jeden Tag aufs Neue, dass jeder einzelne Tag, jeder Kuss, jede zärtliche Berührung mit und von Dir wert ist, sich riesig darauf zu freuen, zu vertrauen und einfach nur glücklich zu sein … ob nun für ein viertel, ein halbes, ein ganzes Jahr oder eben ein ganzes Leben.
Ich freu mich auf jede Sekunde mit Dir.
Deine Tati
Das geht ja gar nicht, denke ich auf einmal. Warum belaste ich ihn mit meinen Umdenkprozessen. Das ist doch alles gar nicht mehr relevant. »jede zärtliche Berührung« – so ein Sums! Liebesschnulzen-Gedöns. Das ist mir irgendwie peinlich. Außerdem ist es mir überhaupt nicht egal, wie lange ich mit Carsten glücklich bin: »oder eben ein ganzes Leben!« Falsch. »Auf jeden Fall ein ganzes Leben!«
Wütend zerknülle ich das Papier, setze mich im Arbeitszimmer an den Computer und öffne die Vorlage dieses intellektuell-romantisch verquasten Briefes, markiere alles bis »Leben«, lösche den Rest und lese:
»Lieber Carsten,
ich freu mich auf jede Sekunde mit Dir.
Deine Tati«
Zufrieden drucke ich den Brief aus und stecke ihn in den vorbereiteten Umschlag, den ich mit einer Schleife an eine langstielige Rose gebunden habe. Dieses Gebinde lege ich auf ein Tablett und trage es mit frischem Kaffee und ein paar vorbereiteten Frühstückstoasts die Treppen hoch. Nachdem ich mit der Nase Carstens Klingel betätigt habe, öffnet mir ein ziemlich waches Erdhörnchen, steppt vor mir her in die Küche und knutscht mich, nachdem ich das Tablett abgestellt habe, rücklings auf den großen Eichentisch nieder.
Carsten freut sich über den einzeiligen Liebesbrief, stellt die Rose in eine Vase und teilt mir mit, dass ich auf sein Geschenk ein wenig warten müsse. Als ich nach dem schnellen Frühstück wieder neben Chica in meiner Küche sitze, freue ich mich, dass unsere Liebe so unkompliziert und vorwurfsfrei funktioniert und ich jetzt meine Arbeit trotz unseres Ehrentages ohne schlechtes Gewissen erledigen könnte. Ich könnte mich aber auch einfach nur in die Küche setzen und am Leben erfreuen oder mich selbst finden oder mich weiter selbst verwirklichen.
Um mich selbst zu finden, brauche ich noch ein wenig Zeit. Ich suche und suche nach mir und werde nicht fertig. Ob ich mich jemals ganz finde, steht in den Sternen. Aber fertig werden ist langweilig. Mich selbst zu verwirklichen, finde ich zunehmend leichter.
Ja, Mama, disziplinierte, harte Arbeit und große Ziele sind wichtig! Aber ich muss meine Selbstachtung nicht verlieren, auch wenn ich nicht die Beste bin oder wenn ich Lust habe, einen ganzen Tag im Bett zu bleiben. Ja, Mama, Corinna hat bestimmt geheiratet. Na und! Mir reicht meine Zuversicht, die trotz Hochzeitsterminabsage nicht verschwunden ist. Es lebt sich auch ohne Versprechen gut.
Apropos »Versprechen«. Hatte Flo nicht versprochen, sich endlich mal zu melden?, schießt es mir durch den Kopf. Langsam mache ich mir Sorgen, so lange habe ich von keiner neuen Barbie mehr gehört, geschweige denn zur Lästerfreigabe persönlich vorgeführt bekommen. Das Letzte, was Flo uns gezeigt hat, war sein neuer Audi. Der wirkte im Vergleich zu seinem Mercedes Cabriolet so konservativ und grau, dass ich schon Angst hatte, Flo könnte auch unter Depressionen leiden.
Bevor ich gleich meine Schreibarbeit angehe, wähle ich die Telefonnummer meiner Tochter in Amsterdam. Nach der Ansage »nur 2,9 Cent pro Minute« und zehn Freizeichen lege ich auf. Wo mag sie nur sein? Rumtreiber-Elsi!
Ich beschließe, doch zu arbeiten, schreibe Verträge und Pressemitteilungen und spreche alle technischen Details für das nächste Gastspiel ab. Als ich mit der Arbeit fertig bin, ist es bereits 16 Uhr. Die Zeit ist ja ruck, zuck vergangen.
» Plingplingpling!« Eine SMS ist angekommen. Von Carsten.
»Liebe Tati, bitte zieh dich schick an. Ich hole dich um sechs Uhr ab. Kuss, Carsten«
Welche Freude! Mein Hörnchen will mich ausführen. Sofort träume ich von einem kleinen, schnuckeligen Abendessen bei Kerzenlicht. Nur wir zwei, allein, verliebt und dann …
Ich stürze an den Kleiderschrank. Sag einer Frau, sie soll sich schick anziehen, da findet sie garantiert keine passende Klamotte!
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