Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Verzweifelt zerre ich einen Bügel nach dem anderen zur Seite, nehme das eine oder andere Kleid raus, halte es an, verwerfe wieder. Chica kriecht in den Kleiderschrank und schabt an der Rückwand. Ich wühle in den Schubfächern der Kommode. Unterwäsche zu finden ist einfacher. Ich wähle mein graublaues Mieder mit passendem Slip und halterlosen Strümpfen. Das funktioniert immer. Grrrrrrrrrrr. Dann renne ich ins Bad, dusche, rasiere und salbe mich. Vor dem Spiegel zupfe ich alle überflüssigen Haare aus dem Gesicht und schmiere es dann mit einer flüssigen Anti-Aging-Kur aus der Ampulle und der Experten-Lift-Nachtcreme ein. Für meinen restlichen Körper reicht die Billig-Lotion. Parfüm, Deoroller, Haargel und für den Hintern dann doch noch Q10.
Vierzig Minuten später stehe ich, diesmal in Unterwäsche, wieder vor meinem Schrank, in dem Chica es sich bequem gemacht hat. Ich entscheide mich nach langwierigem An- und Ausziehprozedere für das rote Abendkleid, das ich zur »Goldenen Henne« angehabt hatte; dazu die schwarzen Lackpumps und die zu diesem Ensemble bereits erprobte Herzchenkette. Ich male mir ein bisschen Farbe ins Gesicht, tusche die Wimpern so, dass sie den Blick öffnen, pinsle mir einen knallroten Knutschmund, bringe mit ultrastarkem Haarlack meine Haare zum Stehen – fertig! Ich bin mit meinem Anblick zufrieden. Im Schrank findet sich direkt unter der schlafenden Katze ein Bolerojäckchen mit Kunstpelz. Ich trage Chica samt Bolero in die Küche. Enthaaren muss ich diesmal nichts, so hat der Pelz etwas echtes Fell. Man sieht es auch gar nicht. Als ich gerade meine Entspannungszigarette rauche, betritt Carsten im schwarzen Anzug, mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte den Raum. Seit er einmal wöchentlich seinen Rücken trainiert, läuft er sehr aufrecht und wirkt in seinem Outfit gerade wie ein Pinguin.
»Warum trägst du denn eine schwarze Krawatte? Ist was Schlimmes passiert?« Diese Frage stelle ich regelmäßig, um ihn zu ärgern. Genauso regelmäßig erklärt er mir, dass das modern sei. Auch wenn im Fernsehen Moderatoren zu festlichen Anlässen eine schwarze Krawatte tragen, weist er mich darauf hin.
Mein Pinguin verwandelt sich in ein aufgeregtes Erdhörnchen und gibt mir zu verstehen, dass wir sofort los müssen. Er läuft im Mantel, den Schal fest unterm Kinn zugebunden, unruhig auf und ab. Ich lasse mich nicht hetzen, denn das führt bei mir immer zu Katastrophen wegen vergessener Wichtigkeiten. Ganz in Ruhe packe ich Handy, Taschentücher, Kopfschmerztabletten, Portemonnaie und Parfüm – grrrrrrrr – in meine Handtasche. Als wir vors Haus treten, wartet dort bereits ein Taxi. Wir setzen uns beide nach hinten. Auch wenn ich mich cool und souverän gebe, bin ich doch aufgeregt und neugierig. Überraschungen sind so spannend! Ich greife Carstens Hand.
»Oh, deine Hand ist ja auch kalt. Bist du etwa auch aufgeregt?«, frage ich. Carsten reibt sein Gesicht an meinem und antwortet einfach: »Du siehst toll aus!«
Der Taxifahrer fährt ohne weitere Anweisungen los. Die Straßen sind dunkel und fast menschenleer. Wir fahren bis zur Zeppelinstraße und biegen ab in die Breite Straße, vorbei an der Havelbucht und der Moschee, die die Pumpen für Sanssoucis Springbrunnen beherbergt. Vielleicht fahren wir ja nach Berlin? Nein. Das wäre mit dem Taxi zu teuer. Außerdem fahren wir jetzt in die Dortustraße. Mhm? Nikolaisaal? Vorbei. Er wird mich doch nicht aufs Theaterschiff einladen? In Strapsen und Abendrobe? Doch! Gerade passieren wir den Alten Markt und das von Günther Jauch gespendete Tor, welches die Baugrube für das neue alte Stadtschloss bewacht. Auf dem unbeleuchteten und unbefestigten Parkplatz, direkt an den Stufen zur Havel, halten wir an.
Ich klettere aus dem Auto und trete nur mit den Zehenspitzen auf, um nicht in der feuchten Erde zu versinken. Durch die Bäume an der Böschung sehe ich die Lichter des Bühnenkahns, auf dem ich vor einem Dreivierteljahr meine Solopremiere gefeiert habe. Ich spüre Carstens Arm an meiner Taille und bin mir nicht sicher, ob er mich oder sich selbst festhalten muss. Er ist ungewöhnlich aufgeregt. Warum nur? Weil er nicht selbst kocht? Ich beschließe, eingedenk meiner neuen Erkenntnisse über das Leben, ruhig zu bleiben.
Als wir die Treppen zum Ufer hinuntergehen, sehe ich den roten Teppich, der von Teelichtern rechts und links beleuchtet wird und direkt zum Eingang des Schiffes führt. Haben die Kollegen heute ein besonderes Gastspiel
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