Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Telecom-Italia-Laden, eine winzige Bäckerei, Geschäfte für Kräuter und Olivenöl. Und eine kleine Drogerie, in der mir zur Begrüßung erst mal eine Packung Pampers auf den Kopf purzelt. »Da ist sie ja! Geil! Albicocca!«, jubelt Lena. Anscheinend löst in Sepiana sogar Sonnencreme Euphorie in ihr aus.
»Albicocca?«
»Das heißt Pfirsich. Die einzige Creme, von der ich keine Sonnenallergie kriege.«
Dafür bekomme ich Ausschlag, als ich einen Blick auf das Preisschild werfe.
Wir bahnen uns einen Weg durch den kurios zusammengewürfelten Laden bis zur Kasse, an der sich die Verkäuferin gerade die Nägel lackiert. Lena legt gleich drei Flaschen ihrer Creme auf die Theke.
»Hey, ich dachte, du darfst gar nicht in die Sonne!«
»Mit dem Hut schon. Hast du doch selbst gesagt. Außerdem nehme ich die mit nach Hause.«
»Weil bei uns im Herbst die Sonne so brutal brennt?«
Am Ende des Corso ist ein winziges Ketten-Karussell auf einem kleinen Platz aufgebaut, der wie eine zu groß geratene Terrasse wirkt. Immerhin ist der Ausblick aufs Meer phantastisch. Für einen Euro werden gerade drei Kinder gemächlich in der Sonne gedreht und müssen versuchen, während der Fahrt ein Ledersäckchen von einem Haken zu rupfen. Aber egal wie sehr sich die Kids auch strecken, sie reichen an das Ding nicht heran. Entweder ist die Zentrifugalkraft zu gering, oder ihre Arme sind einfach zu kurz. Jedenfalls sehen sie von Runde zu Runde unglücklicher aus.
Als wir zurückgehen, hat sich an der Ecke vor einem Geschäft eine große Traube von Männern jeden Alters gebildet. Die jüngeren hocken mit dem Sturzhelm am Ellenbogen auf ihren Motorrollern. Autos parken mit laufendem Motor in der zweiten Reihe – bis hoch zur nächsten Kreuzung. Entweder ist Sepiana der einzige Ort in Italien ohne Auto-Diebstahl, oder die Wagenbesitzer müssen sehr einflussreiche Leute sein.
»Was ist denn da los?«
»Ah, heute ist wieder Lotto. Habe ich dir nicht mal die Geschichte vom Jackpot erzählt?«, fragt Lena. »Das da ist die Annahmestelle.«
Stimmt, da klingelt was. Von Sepiana hatte ich in der Tat schon mal gehört, noch bevor ich Lena kennengelernt habe. Das muss vor mehr als zehn Jahren gewesen sein. Damals gelangte der Ort mal kurz zu Weltruhm, weil praktisch das ganze Dorf gemeinsam den bis dahin größten Jackpot der europäischen Lottogeschichte geknackt hatte.
»Komm, wir gehen mal hin«, sagt Lena, »da kannst du dir auch deine Fußball-Zeitung kaufen.«
Direkt neben dem Eingang ist eine Marmortafel in die Wand eingelassen. »1 – 21 – 30 – 61 – 73 – 84«. Darunter steht ein Satz, den ich nicht ganz verstehe. Lena liest auf Deutsch vor: »In diesem Kiosk hat am 31. Oktober 1998 die Göttin mit den verbundenen Augen 99 Spieler geküsst und so dem ganzen Dorf Sepiana 63 Milliarden geschenkt.« Lena sagt: »Lire.«
»Göttin mit den verbundenen Augen? Ich dachte immer, das wäre Justitia.«
»Die auch. In der römischen Mythologie verteilt Fortuna das Schicksal, die guten und die schlechten Dinge im Leben. Und damit sie niemanden bevorzugt, hat sie ebenfalls verbundene Augen. Ganz simpel.«
Fortuna oder Justitia – wenn ein paar bettelarme Fischer und Ziegenhirten über Nacht stinkreich werden, dann hat das ja auch irgendwie mit beidem zu tun: mit Glück und Gerechtigkeit.
Der Laden heißt jedenfalls Millecose, was auf Deutsch Tausendsachen bedeutet, mit Krimskrams-Bude aber auch nicht schlecht übersetzt wäre. Er ist ungefähr so groß wie ein gewöhnliches deutsches Wohnzimmer und bis unter die Decke vollgestopft mit irrem Zeug. Von der Wäscheklammer und Plastikspielzeug über Furzkissen und Hera-Lind-Romane bis zum Schul- oder auch Pornoheftchen kriegt man hier im Prinzip alles. Nur keine Zigaretten. Dafür hat der sale e tabacchi auf der anderen Straßenseite ein Monopol.
Hinter der Theke, eingeklemmt zwischen einer Spielesammlung für stolze 27,50 Euro und einem Plüschteddy ohne Preisschild hängt noch eine weitere Tafel: »Vendiamo ogni cose. Anche la fortuna.« – »Wir verkaufen alles. Auch das Glück.«
»Ciao Franco«, sagt Lena.
»Ey, come va?« , sagt der Mann hinter der Theke. Und: »Lange nicht mehr hier gewesen!«
Franco, also Francesco, ist der Besitzer des Ladens. Ein Computerfreak, der mit seinem inzwischen verstorbenen Schwager anhand allerlei Statistiken die Zahlenkolonnen für einen Systemschein entwickelt hatte. Und eine Tipp-Gemeinschaft von 99 Leuten aus Sepiana hat dann jede Woche
Weitere Kostenlose Bücher