Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Kopfsteinpflaster, der Wagen hoppelt und bockt wie ein Bulle beim Rodeoreiten. Und das Baby wird durchgeschüttelt wie ein guter Wodka Martini.
Auf den Treppenstufen vor einem Touri-Laden hockt ein braungebrannter Mann Ende dreißig. Er trägt ein verwaschenes blaues T-Shirt, eine schlabbrige Yoga-Hose und Flip-Flops. Seine Sonnenbrille thront auf seinem Haupthaar. Er wirkt wie einer dieser Aussteiger, die irgendwann genug hatten von tantrischem Gruppensex in entlegenen Bauernhäusern und jetzt ihr inneres Gleichgewicht im Kunsthandwerk suchen. Mit Spachtel und einer Feile bearbeitet er laut Aushängeschild selbst geschnitzte Schüsseln aus lokal geschlagenem Holz.
Mit der rechten Hand macht er eine einladende Geste in Richtung Ladentür. Lena nimmt die Einladung wortlos lächelnd an und zieht mich mit hinein. Das Geschäft ist klaustrophobisch klein und so dunkel wie eine Hamburger Hafenspelunke, bevor die Immobilienspekulanten kamen. Vor allem ist es komplett überladen mit Holzgeschirr und Besteck.
»Also, wenn der das alles selbst geschnitzt haben will – wann schläft er denn dann mal?«
»Natürlich kommt der ganze Kram irgendwo aus China oder Thailand«, sagt Lena. »Aber glaubst du, Erna aus Recklinghausen merkt das?« Sie hält eine aus einem einzigen Holzstück gearbeitete Vase in die Höhe. »Und der Typ hier mit dem Schnitzmesser ist auch nur das Vorzeigekasperl. Der Ladenbesitzer liegt wahrscheinlich unten am Strand in der Sonne.«
Zweimal am Tag, erzählt Lena, legen die Ausflugsboote aus den anderen Ferienkäffern entlang der Küste unten am Hafen an und spucken kurzbehoste Urlauber aus. »Nebenan kannst du dann die total handgemachten Ledersäcke kaufen, um den ganzen Quatsch zu transportieren.«
Gegenüber ist ein Geschäft für Bademoden, wobei Mode selbst in Italien ein durchaus relativierungsbedürftiger Begriff sein kann. Die Spanne zwischen Prada-Anzügen und Hawaii-Hemden ist verdammt groß. Jedenfalls habe ich jetzt einen begründeten Verdacht, woher die Herren im Grande Paradiso ihre neckischen Schwimm-Slips beziehen.
Wir holen uns ein Eis und spazieren durch ein kleines verwittertes Stadttor. Gleich daneben bröckelt ein mittelalterlicher Turm vor sich hin, an dessen grau vernarbter Fassade die Leuchtreklame für eine Pizzeria angebracht ist. Der neongrüne Pfeil sieht mehr aus wie ein Blitz und soll wohl bedeuten, dass das beworbene Restaurant um die Ecke liegt. Vor uns eine weitere Kirche. »Das ist der Stadtpark«, sagt Lena und zeigt auf eine Piazza mit dem üblichen Terrakottaboden, einigen Palmen und Pinien. Sie ist nicht viel größer als der durchschnittliche Garten eines Reiheneckhauses.
Ein paar alte Männer in grauen unförmigen Hosen schwatzen auf einer Parkbank im Schatten einer noch viel älteren Pinie. Einer von ihnen beugt sich nach vorn zu seinen Kumpanen und stützt sich dabei auf seinem Gehstock auf.
Direkt neben ihnen haben afrikanische Straßenhändler ihre Tapeziertische ausgeklappt, auf denen allerhand grotesk gefälschtes Designer-Zeug feilgeboten wird: Gucci-Gürtel mit Schnallen so groß wie Gully-Deckel, Louis-Vuitton-Bags, bei denen nicht mal die Typo der beiden Buchstaben stimmt. Ich schätze, wenn ich die Jungs mal höflich frage, besorgen die mir innerhalb von zehn Minuten auch so ein schräges Lacoste-Polo wie das von Luigi gestern.
»So«, sagt Lena irgendwie bedeutsam, »und hier beginnt der Corso.« Die Flaniermeile. Ich blicke eine kurze Straße hinunter, auf der sich gerade ein Vespa-Fahrer an einem VW Polo vorbeiquetscht. Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass selbst Lena ihr geliebtes Sepiana mit einer gewissen Ironie betrachtet.
Der Corso ist traditionell der Mittelpunkt des Lebens einer jeden Gemeinde. Egal ob in Rom oder Sepiana, wobei er in Rom ein bisschen imposanter ausfällt. Man spaziert im Tempo eines Berner Sennhundes bis ans Ende vor, bleibt kurz stehen und schaut. Dreht sich um und geht wieder zurück. Wie auf dem Laufsteg in diesen dösigen Casting-Shows.
Italienische Männer, vor allem wenn sie erst kürzlich das Rauchen aufgegeben haben, fummeln während dieser passegiata gern an Rosenkränzen rum, die sie in der schlapp herunterbaumelnden Hand halten. Oder sie kramen unschuldig in der Hosentasche. Echte Profis kombinieren auch beides.
Links und rechts der Straße reihen sich ein paar Geschäfte aneinander. Vor den meisten stehen die Verkäufer antriebslos in der Sonne und rauchen. Der obligatorische
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