Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Susi führt einen 1a-Buana-und-Bimbo-Dialog mit der Toilettenfrau, der es nun aber offenbar vor Entsetzen die Sprache verschlagen hat. Wenig später stürmt Rosella nach draußen. Unter einem knorrigen Feigenbaum bleibt sie stehen und zündet sich mit zittriger Hand erst mal eine Zigarette an. Sie hat Tränen in den Augen.
In jede einzelne der Toilettenkabinen sind nach außen hin etwa 30 Zentimeter hohe und einen Meter breite Belüftungsschlitze statt Fenster eingelassen. Und wenn Lena recht damit hat, dass die Frauentoilette quasi der Marktpatz für den neuesten Campingplatz-Tratsch ist, dann sind die Spülbecken der ideale Ort, um diese Gespräche zu belauschen. Den Stimmen nach zu urteilen, redet Frau Bürgermeister auf eine etwas wortkarge ältere Schwäbin ein. Nachdem sie ihre Tirade auf die unschuldige Rosella beendet hat, geht es nun um einen fürchterlichen Rüpel aus München. »Dass so was zu einer Professoren-Familie gehört«, schimpft sie, »ist doch nicht zu fassen!«
Oha! Hatte ich doch geahnt, dass dieser Campingtrip weniger eine Hochzeitsreise als ein Charaktertest sein würde. Und nun habe ich mir in Lenas Camping-Idyll schon nach ein paar Tagen einen übleren Ruf erworben als Karl-Theodor zu Guttenberg unter deutschen Akademikern.
Leider habe ich nur ein paar Tassen, Frühstücksteller und Gläser abzuwaschen. Und so lasse ich extra wenig Spülwasser einlaufen, um die wesentlichen Teile der Unterhaltung nicht zu verpassen. Bestimmt hilft mir das auch, die Erinnerungslücken zu füllen. »Einen Camping-Nazi hat er meinen Helmut genannt«, echauffiert sich die Susi. Ich muss grinsen. Wie gern würde ich ihr verhärmtes Gesicht dabei sehen. »Und Blockwart hat er auch noch gesagt.«
Das klingt plausibel. Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich ihn allerdings wohl eher als Gauleiter bezeichnet. So wie sich der coglione hier aufführt, wäre das präziser gewesen.
Rosella ist derweil mit ihrem Putzeimer abgezischt. Und aus der Toilette höre ich erst, wie eine Kabinentür krachend ins Schloss fällt und dann verriegelt wird. Gefolgt von beängstigenden Darmgeräuschen, die bei Frauen auch nicht eleganter klingen als bei uns Männern. Ich denke, es ist jetzt wohl höchste Zeit zu verschwinden, bevor mir die Susi nachher noch mit einer Ladung Sagrotan-Spray die Augen verätzt.
Kurz vor der Kurve beim Ortseingang von Sepiana, etwa auf der Höhe von Luigis Obst-und-Gemüse-Imperium, bimmelt mein Handy wie ein Glücksspielautomat, der gerade ein paar Freispiele ausgibt. Bing, bing, bing … Sechs Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, 28 E-Mails, zwölf SMS. Wenn ich das richtig sehe, markiert die Frutteria also die Grenze zwischen Zivilisation und wilder Archaik, jedenfalls aus telekommunikationstechnischer Perspektive.
Vielleicht ist das Grande Paradiso doch kein so übler Platz. Durch meinen Job musste ich meine Urlaube oft genug entweder kurzfristig verschieben oder absagen. Manchmal auch spontan abreisen, weil große Umweltkatastrophen und blutige Staatsstreiche naturgemäß ziemlich überraschend kommen. Da ist so ein Funkloch ohne Frage der sicherste Ort, um plötzlich hereinbrechender Arbeit zu entgehen.
Wir stellen den Fiesta an der gleichen Kirche ab wie am ersten Tag, als wir Dr. Cevani konsultiert haben. Gleich nach dem Aussteigen schicke ich unserer engelsgleichen Sekretärin eine schnelle SMS: »Grad zum ersten und vielleicht letzten mal handyempfang. Wundert euch nicht, wenn ihr mich nicht erreicht. Alles liebe & bis bald, m.«
»So, jetzt geht der Urlaub richtig los«, sage ich, während ich mein Telefon wieder in der Hosentasche verschwinden lasse.
»Weil wir in Italien sind?«
»Auch.«
Lena nimmt meine Hand und führt mich durch die Gässchen der Altstadt. Wenn sie mich jetzt stehen ließe, würde ich so schnell nicht wieder zurückfinden. Die Gassen sind kaum breiter als eine Bobbahn und angeordnet wie ein Labyrinth. Vor allem sehen sie alle gleich aus. Die quadratischen Häuschen mit ihren hübschen Bögen über Fenstern und Türen sind wahrscheinlich ein Resultat der Sarazenen-Eroberungsfeldzüge. Die Souvenirläden mit ihrem mediterranen Töpferkitsch dagegen eher stumme Zeugen der Neokolonialisierung durch deutsche Urlauber.
Kabel und Drähte hängen kreuz und quer von einem Haus zum anderen. Sieht nicht so aus, als hätte sich das Konzept der Glasfaserleitung hier schon durchgesetzt. Eine junge Mutter quält sich mit ihrem Kinderwagen über das unregelmäßige
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