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Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Titel: Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Götting
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gespielt, mittwochs und samstags, der Schein kostete umgerechnet 12,50 Euro. Genau ein Jahr lang ging das so, und dann, bumms: Fortunas Kuss.
    Noch in derselben Nacht ist damals die Dorfkapelle mit Pauken und Trompeten gleich hier vorne über den Corso gezogen, Autos und motorini fuhren wild hupend durch die schmalen Straßen. Es war ein Tanz wie nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft. Und der Legende nach sind auch ein paar alte Mütterchen vor Aufregung in Ohnmacht gefallen.
    So wurde aus Sepiana in aller Welt »Das Dorf der Millionäre«, was allerdings bestenfalls in Lira-Kategorien zutraf. Jeder Mitspieler hat damals etwas mehr als 300   000 Euro kassiert. Sepiana hatte seinerzeit wie heute rund 4000 Einwohner, die allesamt irgendwie untereinander verschwägert sind. Wenn also knapp hundert Leute im Lotto gewonnen haben, bedeutet das so viel wie: Alle haben gewonnen. Unverhoffter Reichtum wird nach alter Sitte umgehend im Kreise der famiglia aufgeteilt, und Verwandtschaft wird in Italien nicht annähernd so eng definiert wie bei uns.
    Wer damals trotzdem nicht dabei war, arbeitet heute vermutlich bei der Stadtreinigung oder tuckert am späten Abend traurig mit seinem Bötchen zum Fischen auf die Adria hinaus. Man kann die Lichter der Boote auch von unserem Wohnwagen aus sehen.
    Noch heute sperrt Franco seinen Laden jeden Morgen um sechs Uhr auf und erst kurz vor Mitternacht wieder zu. Dabei ist er der reichste Mann im ganzen Ort. Wenn nur ein Bruchteil der Gerüchte stimmt, dann ist er damals ausgerechnet in jener Woche nicht alle Lottoscheine losgeworden, und im Dorf erzählt man sich, dass der gute Franco sie eben für sich selbst behielt und so zu mindestens zehn Spielscheinen kam. Oder anders ausgedrückt: zu etwas mehr als drei Millionen Euro. Er hat das immer bestritten, aber wer wie viel kassiert hat, das weiß nur einer ganz genau. Und zwar Franco.
    Er kann wunderbare Anekdoten erzählen, witzige, traurige, tragische. Wie zum Beispiel die Geschichte von dem armen Tropf, der das ganze Jahr über seine paar Kröten brav zu ihm, Franco, getragen hat. Nur eben nicht an jenem schicksalhaften Tag. Und dann war da noch der bekannte Hotelbesitzer, damals der reichste Mann im Ort und der Einzige, der je einen Ferrari fuhr. Nachdem er ein paar Kleinigkeiten eingekauft hatte, bekam er von Franco statt seines Wechselgeldes einen Lottoschein in die Hand gedrückt. Und nach einigem Palaver ist er achselzuckend damit abgezogen.
    »I soldi vanno sempre con i soldi« , heißt es in einem resignativen und somit für Süditalien typischen Sprichwort. Und sehr mutig übersetzt heißt das so viel wie: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
    Lotto ist jedenfalls neben knallbonbonbunten Fernsehshows, die sogar RTL zu peinlich wären, das zentrale Element der italienischen Alltagskultur. Das »SuperEnalotto« wirbt regelmäßig mit Gewinnen, von denen sich spielend eine Fußballmannschaft unterhalten ließe. Zumindest in der Serie B . Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Millecose seit inzwischen einem Vierteljahrhundert so etwas wie das Gemeindezentrum Sepianas ist: Als Mittelpunkt des sozialen Lebens ist die Lottobude auf jeden Fall wichtiger als die windschiefe Kirche, vor der unser Fiesta parkt.
    Inzwischen geht es zu wie im Taubenschlag, dabei stehen diesmal nur vergleichsweise bescheidene acht Millionen zur Ausschüttung. Lena durchstöbert in aller Seelenruhe das üppig ausgestattete Yellow-Press-Regal. Ein Kerl mit Pferdeschwanz und Ziegenbärtchen trägt sein Rubbellos von der Kasse bis vor die Tür wie eine Reliquie vor sich her, dann reibt er die Flächen an der Marmortafel frei. Mir war schon klar, dass es in italienischen Dörfern, was den Aberglauben betrifft, mitunter so wirkt, als hätte es Kant, Voltaire und die ganze Aufklärung nie gegeben. Aber diese Nummer befremdet mich schon.
    »Hast du den gesehen?«
    »Ja. Und? Wenn der Jackpot nur groß genug ist, kommen die Leute scharenweise aus zig Kilometern Entfernung angereist, um hier ihren Lottoschein zu kaufen. Der Laden ist ein richtiger Wallfahrtsort.« Das Altötting des italienischen Glücksspiels. Lena lacht. »Dabei kannst du bei Franco längst online spielen. Von überall.«
    Ein Spiel, genau das ist es. Wahrscheinlich geht es den meisten Leuten gar nicht mal so sehr ums Gewinnen, sondern mehr um die bloße Möglichkeit. Lotto ist in diesem Land mehr noch als anderswo Sehnsuchtsmaschine und Traumgenerator zugleich. Die Italiener,

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