Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
das hat Lena mir einmal gesagt, leben gern im Konjunktiv. Und sie lieben einfach diese Idee, reich zu werden, ohne etwas dafür tun zu müssen.
»Das mit dem Schild kapier ich trotzdem nicht. Ich dachte, für so was haben die ihren Padre Pio.«
»Quatsch. Ich hab’s dir doch eben schon erklärt. Fürs Glücksspiel brauchst du Fortuna. Vater Pio ist in der Regel eher für körperliche Gebrechen zuständig. Vom Sodbrennen bis zur Querschnittslähmung.«
Lena steht mit der aktuellen Ausgabe von »Oggi«, der übelsten aller Gossip-Gazetten, an der Kasse, als ein Typ mit glänzenden schwarzen Haaren schwungvoll den Laden betritt, freilich ohne seine D&G-Sonnenbrille abzusetzen. Er grüßt mit so einer Yo-Bro’ -Geste in die Runde, dann bleibt er unvermittelt stehen und stutzt. Bewegt sich nach links und betrachtet Lena von der Seite. Er stellt sich hinter sie, tippt ihr auf die Schulter, und als sie sich umdreht, drückt er ihr einen Kuss auf die Wange. Wahrscheinlich hat er ihre Lippen einfach nur verfehlt.
»Ey, Mozzarellina«, brüllt Capt’n Gelhaar. Er biegt seinen Oberkörper nach hinten und breitet gleichzeitig die Arme aus, den Kopf leicht schräg gelegt. Das letzte Mal, das ich so eine Bewegung gesehen habe, war in einem Musikvideo von Falco. Der hatte auch so eine ähnliche Frisur. Und von mir aus könnte dieser Typ hier auch gleich mit seinem Sportwagen von der Straße abkommen, so wie er meine Frau anstarrt.
Lena wird schlagartig so knallrot im Gesicht, als wäre sie am Strand eingeschlafen. »Fabio?« Sie zögert einen Augenblick, bevor sie ihn in den Arm schließt. »Was machst du denn hier?«
»Ey, ich bin zurück«, kräht Fabio, »back in town!« Und sein Ton klingt, als müsste seine Stimme eine Treppe hochspurten.
Er schaut mich an und sagt zu Lena: »Und das ist Felix, oder? Dein Bruder?«
»Nee, Markus, mein Mann.«
In Fabios Miene macht die anfängliche Euphorie tief empfundener Enttäuschung Platz. Für einen Süditaliener ist Fabio recht groß gewachsen. Bestimmt 1,75. »Wie, du bist verheiratet?«, sagt er. »O Mann, du trägst sogar einen Ring! Ja merda .«
»Freut mich auch, dich kennenzulernen«, sage ich, weiterhin meine Hand zur Begrüßung ausgestreckt.
»Mozzarellina?«, frage ich.
Lena schaut etwas säuerlich: »So haben mich die Surfer-Jungs am Strand immer genannt, weil ich wegen meiner Sonnenallergie nie vor dem Nachmittag ans Wasser durfte.« Sie macht eine Kunstpause. »Weiß wie ein Stück Mozzarella, verstehst du?«
Fabio war einer dieser Surfer-Jungs, erklärt Lena, und auch einer der glücklichen 99 vom Millecose. Als das Geld endlich auf seinem Konto war, überwies er seiner Mamma ein paar Tausender und verschwand mit dem Rest der Kohle sofort nach Wien, um eine Segafredo-Bar in der Nähe des Naschmarktes zu eröffnen.
»Weißt eh«, sagt er, »ich hatte damals die Schnauze voll von Sepiana.« Keine gescheiten Clubs, es gibt nicht mal ein Kino, und die nächste echte Stadt, Foggia, ist 120 Kilometer auf einer kurvigen Landstraße entfernt. »Culo al mondo« , sagt Fabio. Der Arsch der Welt.
»Und warum bist du dann wieder hier, wenn’s so furchtbar ist?«, frage ich.
»Lange Geschichte«, antwortet Fabio, »prendiamo un caffè?«
Noch bevor Lena ihr »Oggi«-Heft bezahlen kann und Fabio seinen Lottoschein, hat sich ein älterer Herr vorgedrängelt, der sein Fußball-Toto-Ticket wenig später ebenfalls an der Marmortafel reibt. Armer Kerl, denke ich. Spätestens seit dem Skandal um einen schmierigen Gesellen namens Luciano Moggi von Juventus Turin weiß die ganze Welt, dass für die Fußball-Ergebnisse in Italien weder Fortuna noch Padre Pio verantwortlich sind. Sondern Schiedsrichter, die noch korrupter sind als Fifa-Chef Sepp Blatter.
Ein paar Meter weiter den Corso runter, gleich gegenüber des Stadtparks, lassen wir uns unter der Markise eines Straßencafés nieder. Fabio veranstaltet mit dem Kellner eines dieser aufwendigen Abklatsch-Begrüßungsrituale, die selbst den Ghetto-Kids aus der Bronx inzwischen zu blöde sind. Er bestellt Campari Soda und steckt einen Zahnstocher in den Mund. »Ich versuche gerade, mit dem Rauchen aufzuhören«, sagt er, »die Mamma mag das nicht im Haus.«
Ich zünde mir eine Gauloise an und blase den Qualm in seine Richtung.
Fabios ulkiges Deutsch ist diese Schlawiner-Mixtur aus übertriebenem Pizzabäcker-Akzent mit fein eingestreuten Ösi-Redewendungen. Seit dem Frühsommer ist er also wieder zurück in Sepiana. Die
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