Alles bestens

schlimmer, Leute, ich musste kacken! Nicht dass ich der Typ wäre, der ständig über seine Verdauung nachdenkt, aber an diesem Samstagmorgen wurde ich dazu gezwungen. Wahrscheinlich war mir Suzis Tod auf die Gedärme geschlagen – oder es war einfach mal wieder an der Zeit, auf einer Klobrille rumzuchillen, schließlich sind wir auch nur verdauungsgesteuerte Gewohnheitstiere, aber ich war barfuß und wollte mit meinen nackten Füßen auf keinen Fall in so eine beschissene City-Toilette, außerdem hatte ich auch kein 50 -Cent-Stück bei mir, ihr wisst, diese kleinen praktischen Münzen, die einem diese spacigen Edel-Klos öffnen, wo man beim Pinkeln mit Chopin beschallt wird. Ich konnte mich auch nicht hinter einen Busch hocken, denn es waren nur einzementierte Bäume auf der Straße, die schon voller Hundekacke waren. Leute, es fing langsam an, kritisch zu werden. Kein Grünstreifen in Sicht. Ich überlegte, ob ich irgendwo klingeln und mit meinem Zehlendorfer Höflichkeitsakzent nach einer Toilette fragen sollte. Aber ich traute mich nicht, obwohl mir jede Scham mit jedem Schritt mehr und mehr abhanden kam. Auch mein Stolz und mein Selbstbewusstsein waren dahin. Ich war kein selbst entscheidendes Individuum mehr, sondern nur noch ein gewöhnliches Lebewesen mit Stuhlgang, das von seinen Innereien zu schnellem Handeln gezwungen wurde. Die gute Medusa hätte mich so sehen sollen! Seit Jahren versuchte sie, aus uns Hosenscheißern eigenständige Wesen zu machen, innovativ, geistreich und frei. Ich sehnte mich plötzlich nach meiner Lehrerin, nach der ganzen Klasse, nach dem Bus. Im Bus war bestimmt eine Luxustoilette, auf die man ganz unauffällig verschwinden konnte.
    Da schimmerte etwas Grünes hinter einer Häuserschlucht. Es war tatsächlich ein kleiner Park, mit Spielplatz, Hecken und Büschen. Ich hatte kein Papier dabei, kein Hakle Feucht oder diesen ganzen Intim-Mist, aber mit einer Handvoll frischem Laub ging es auch.
    Leute, es kann sich keiner vorstellen, wie gut es mir hinterher ging! Mir war noch nie so bewusst, was es heißt, entleert zu sein. Über so einen Scheiß liest man ja normalerweise nichts, außer in irgendwelchen perversen medizinischen Zeitschriften. Ich war frei! Glücklich! Meine individuelle Freiheit kehrte augenblicklich zurück.
    Ich hüpfte über ein Rosenbeet, so leicht, dass ich schon dachte, ich berühre gleich nicht mehr den Boden. Wenn irgendwo Wasser in der Nähe gewesen wäre, hätte ich jetzt glatt ausprobiert, darüber zu wandeln.
    Aber dann sah ich ein Plakat mit Fischen und Seepferdchen und musste an die gute Suzi denken. Wer hatte den Fisch ermordet? Und wann? Jemand musste ins Wohnzimmer gekommen, an mir vorbeigegangen sein, Suzi aus dem Wasser genommen haben und dann …
    Oder war sie schon vorher tot? Gestorben an zu rauer See?
    Ich ließ mich durch die Menge treiben, gegen den Strom. Überall Leute mit Einkaufstüten, Pimky, H&M , Zara, Mango, Runner’s Point  … Ich guckte auf meine Füße, auf jeden nackten Schritt. Als ich hochschaute, sah ich ihn. Erst dachte ich, ich sehe nicht recht, aber er war es, kein Zweifel! Ich erkannte ihn am Gang, keiner watschelt so wie er, weil er ein Hohlkreuz hat und seine Wampe ihn vornüberzieht. Mein Alter, auf der Schönhauser! Toller Kniekongress!
    Fröhlich pfeifend, mit den Händen in den Hosentaschen, ging er an Schlecker vorbei, betrachtete sich im Schaufenster, gab sich einen Ruck, um aufrechter zu gehen, zog den Bauch ein und blieb am nächsten Hauseingang stehen. Klingelte. Wartete. Wippte von den Zehen auf die Fersen und zurück und strich sich über die dunkelblonden Haare. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mein Fast-Food -Shirt trug, das khakifarbene, auf dem ein Hund eine Katze hetzt.
    Leute, ich fasste es nicht! Mein Alter kramte also in meiner Abwesenheit in meinen Klamotten herum! Jetzt zog er auch noch eine schwarze Sonnenbrille aus der Tasche, setzte sie auf, schaute sich prüfend über die Schulter, links, rechts, genau in meine Richtung. Ich verschränkte die Arme vor dem Gesicht, er schaute wieder weg. Ich lugte durch meine Fingerritzen, wie früher, als ich Derrick geguckt habe, nicht weil Derrick so spannend war, sondern so hässlich.
    War mein Alter vielleicht gar kein Orthopäde, sondern ein gut getarnter Geheimagent? Oder ein Schläfer? Oder ein Juwelendieb? Hatte er etwa eine Knarre in der Tasche und holte gerade seinen Kumpel ab?
    Die Haustür ging auf und so eine Superschnecke mit freiem Bauchnabel