Alles bestens
kam heraus, mit rosa Kniehosen und kirschblütenweißen Turnschuhen! Leute, ich fasste es nicht. Die Tussi kannte ich doch! Klar, Schwester Sabine, eine seiner letzten Neueinstellungen für die physikalischen Anwendungen.
Schwester Sabine hüpfte die Treppe hinab, genau in seine Arme. Mein Alter wirbelte sie herum. Das brachte ihr jede Menge Volumen ins Haar. Dann küssten sie sich. Leute, was sage ich da! Küssen ist der falsche Ausdruck! Mein Alter stand in einem schäbigen Hauseingang auf der Schönhauser und knutschte mit Schwester Sabine, was das Zeug hielt. Mindestens eine Viertelstunde! Dann kriegte ich Nackenstarre, weil ich über die rechte Schulter gucken musste. Ich ließ meinen Kopf auf die Brust hängen, schloss die Augen, sah Suzi tot auf dem Teller liegen, raufte mir die Haare und sah meinen Alten Suzi knutschen, nein, nicht Suzi, sondern Schwester Sabine.
Mir war, als trüge ich eine Krawatte, eine zu eng geknotete, so wie mein Vater sie mir zur Konfirmation umgebunden hatte, eine gelbe Krawatte. Er stand sehr dicht vor mir, ich konnte seinen Atem riechen, eine Mischung nach The more you know und Boss -Rasierwasser.
»Zerr nicht so!«, hatte er gesagt und den Knoten zugezogen.
»Ich zerre ja gar nicht«, hatte ich gesagt und versucht, den Knoten zu lockern.
»Seid ihr endlich fertig?«, hatte meine Mutter gerufen. Sie stand im bordeauxroten Kleid im Flur vor dem Spiegel und malte sich die Lippen bordeauxrot, seelenruhig, während mein Alter mir langsam, aber sicher die Luft abdrückte.
Es war nichts mehr mit Wandeln und Schweben. Ich war völlig down , konnte kaum meine Schultern aufrecht halten. Eine Last, schwerer als Sandsäcke, lag mir im Nacken und drückte auch auf meine leeren Gedärme. Ich fing plötzlich an zu zittern, die Knie knickten weg, ich griff mir an die Brust, als hätte jemand auf mich geschossen. Ich fühlte den Schuss, knapp am Herzen vorbei, und rutschte auf den Bürgersteig. Da saß ich nun, Samstagmittag, auf der Schönhauser, angelehnt an einer Laterne, Hundehaufen neben mir, Zigarettenstummel, ausgespuckte Kaugummis. Ein bisschen weiter: Punks und Penner. Ich brauchte dringend eine lila Pause , eine Milchschnitte , eine Müllermilch .
Dann hörte ich ein »Pling« und ein 50 -Cent-Stück rollte in mein Blickfeld. Als ich aufschaute, sah ich die beiden von hinten, Arm in Arm und Arsch an Arsch, abdackeln.
Ich nahm das 50 -Cent-Stück. Es war noch warm. Mein Vater hatte die Hosentaschen immer voller Parkgroschen. Es war das erste Mal, dass ich mitgekriegt habe, dass er einer echten armen Sau wirklich etwas schenkte.
Was sollte ich jetzt damit machen? Aufs Klo musste ich nicht mehr.
Ich wollte das Geld von meinem Vater nicht. Ich wollte nicht mal mehr meine Stimme behalten; der Gedanke, auch nur ein bisschen Ähnlichkeit mit meinem Vater zu haben, schnürte mir die Kehle zu. Vielleicht sollte ich mir ein Stimmband kappen? Oder Kreide fressen wie der böse Wolf? Das Dumme ist nur, ich bin kein Büßer. Ich will mich nicht für eine bessere Welt opfern. Und schon gar nicht für meinen Alten. Am liebsten wäre ich hinter ihm hergelaufen und hätte ihm in den Hintern getreten. Dieser Mistkerl! Wie konnte er meine Mutter so hintergehen? Mit einer seiner Arzthelferinnen! Wie lange war er wohl schon mit dieser Tante am Knutschen?
Leute, Bilder rasten durch mein Hirn und verselbstständigten sich, ich sah die beiden sogar auf den Behandlungsliegen rummachen, mein Alter nur in weißem Kittel und weißen Socken, und plötzlich kommt die Putzfrau. Sie müssen sich im Schrank verstecken und treiben es da gleich weiter.
Zum Glück wischte die Putzfrau meine dreckige Fantasie weg.
Ich raffte mich auf. Millionen von grün glitzernden Stecknadeln kamen auf mich zu und stachen in meine Augen. Ich wollte mich an der Laterne abstützen, griff daneben und knallte mit dem Kopf gegen den Pfahl. Es war laut und schmerzhaft und einen Moment lang sah ich nichts mehr. Dann trat ich in was Gelbes.
Das Gelbe war so groß wie ein mittelgroßer Hundehaufen, wabbelig wie Wackelpudding und klebrig wie Sekundenkleber. Ich kam nicht mehr weg. Füchse beißen sich in so einer Situation den Fuß ab und laufen fröhlich weiter. Aber so sportlich war ich nicht, ich würde mit meinen Zähnen nicht bis an die Knöchel kommen; ich zog und zog und dann war mein Fuß frei. Aber ich konnte das Gelbe nicht am Bordstein abschaben, es nicht loswerden, genau wie das, was ich vorhin gesehen hatte, im Hauseingang,
Weitere Kostenlose Bücher