Alles bestens
wie diesem hier.« Sie schaute auf mein T -Shirt. »Oder?«
»Nö«, sagte ich.
Sie prüfte ihren Nagel, sah mich erwartungsvoll an, aber ich sagte nichts mehr, schließlich wollte ich den Abend mit Sandra I verbringen. Nur deswegen war ich hier: um sie hier rauszuholen, sie mitzunehmen, mit ihr durchzubrennen, irgendwohin!
Das Programm ging weiter, jetzt fing das Gedränge an. Mein Ledersessel war besetzt, und wenn ich was sehen wollte, musste ich sowieso stehen.
Die Nagellackschnecke war verschwunden, das Licht ging aus, Flackerlicht ging an und Herr Sowieso III von der Werbeagentur übernahm die Moderation und sagte ein großes Talent an. Mein Herz fing an zu trommeln.
Ich hatte Glück, Sandra kam als Erste. Aber es war gar nicht Sandra! Es war ein Make-up-verklebter Sandra-Verschnitt mit Pferdeschwanz. Leute, mich traf der Schlag! Ich kriegte keine Luft mehr! Ich wollte nur noch raus!
Ich wühlte mich durch die Menge, nach draußen. Hinter mir schnappte die Tür ins Schloss und schnitt jedes Gesinge ab.
Ich rannte die Treppe hoch und blieb erst am Straßenrand stehen.
Ein Lastwagen brauste haarscharf an mir vorbei. Esst mehr Fisch! Am Horizont rauchten drei Schornsteine. Die rote Leuchtschrift bestand nur noch aus zuckenden Buchstaben und Ziffern. Es war 19 : 37 Uhr.
Sandra III
Der Tag dämmerte dahin und ich war völlig orientierungslos. Man hätte mich in einen Käfig sperren können, es hätte mir nichts ausgemacht. Ich kam mir klein und nackt vor und hätte mich am liebsten in irgendeinem Kleiderschrank verkrochen.
Ob meine Mutter sich so gefühlt hat, als ich sie im Kleiderschrank gesehen habe? Weiß sie eigentlich von Schwester Sabine?
Ich ließ meine Arme baumeln, sie schleiften neben mir über den Bürgersteig. Hunde bepinkelten mich, Fahrradfahrer fuhren über meine Finger, ich ging geradeaus, immer geradeaus und wusste nicht, wohin. Ich war mir sicher gewesen, Sandra wiederzusehen, aber wer da auf der Bühne im Zitrus stand, hatte nicht im Geringsten mit Sandra zu tun.
Ich hätte jetzt gern einen Telefon-Joker zur Verfügung gehabt. Um jemanden anzurufen, den ich kannte. Aber je länger ich darüber nachdachte, wen ich hätte anrufen können, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich niemanden wirklich kannte. Nicht mal meine Eltern. Nicht mal mich selbst hätte ich anrufen wollen, so fremd war ich mir geworden.
Außerdem dämmerte mir, dass ich Sandra I nicht retten konnte, selbst wenn ich sie im Zitrus getroffen hätte. Machen wir uns doch nichts vor, Leute: Hätte ich etwa meine Hand zwischen sie und Pieter schieben sollen? Es war doch allein ihre Sache, wie weit sie gehen würde. Und wer weiß, ob es diese Sandra, die ich suchte, überhaupt wirklich gab. Nach der Talentshow war ich mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht war sie nur eine Erfindung meiner durchgeschüttelten Erinnerung? Ein Wunschbild, hervorgebracht durch Wundschmerz an Seele, Magen und Radiusköpfchen? Eine Erscheinung?
Ich hatte wirklich keine Ahnung vom Leben.
Es wurde wieder Nacht in Berlin, meine zweite Nacht, in der ich nicht zu Hause war.
Ich ging auf dem Todesstreifen spazieren, in der Nähe vom Checkpoint Charlie. Wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich mir eine Russenmütze gekauft, denn 80 Prozent der Körpertemperatur geht über den Kopf verloren. Nicht dass mir kalt war, aber ich hatte Angst, meine Körpertemperatur zu verlieren. Außerdem hätte ich gern telefoniert. Holden, der reiche Sack, hätte sich zehn Russenmützen kaufen können, außerdem telefonierte er andauernd mit irgend jemandem. Ich weiß noch, wie er die gute Jane anrufen wollte, dann aber die gute Sally angerufen hat, obwohl er die ziemlich dumm fand. Das hat er jedoch erst später geschnallt, weil sie andauernd über Kunst und Literatur gesprochen hat und ihm unglaublich intelligent vorgekommen ist. Jedenfalls haben sie erst mal ausgiebig geknutscht. Dabei findet man natürlich auch schlecht raus, wie dumm jemand wirklich ist. Außerdem hatte Holden immer angenommen, die Mädchen, mit denen er knutscht, seien a priori intelligent. Na ja, im Unterschied zu mir kam er wenigstens zum Knutschen!
Die Schnecken, die ich vor Sandra getroffen hatte, taten auch irre intelligent und wollten erst gar nicht anfangen zu knutschen. Trotzdem habe ich mich mein halbes Leben lang lieber mit Kunst und Literatur und so was auseinandergesetzt, damit man überhaupt mal ein bisschen ins Gespräch kommt mit dem anderen Geschlecht. Ich stellte mir das
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