Alles bestens
vielleicht ließ ich die Klapse am Ende weg. Vielleicht aber auch nicht, denn man soll im Leben nichts beschönigen, sondern alles so sehen, wie es ist. Das hat schon der gute alte Lessing gesagt …
Leute, ich kam echt klassisch drauf, aber ich wollte ihr unbedingt auch ein paar Grundsäulen der deutschen Kultur vermitteln, wie die gute Medusa es bei uns getan hat, denn es lohnt sich ja doch irgendwie fürs Leben.
Ich war tierisch durstig und hatte sogar meine Zitronenscheibe schon ausgelutscht, bis uns die Jury vorgestellt wurde. Drei Typen und eine Frau. Herr Sowieso von der Sparkasse, die das Ganze hier mitgesponsert hatte, Herr Sowieso II von RTL II und Herr Sowieso III von irgendeiner Werbeagentur. Die Frau war Medienpsychologin. Aha. Was auch immer das ist. Dann kam endlich der erste Hecht auf die Bühne. Es war ein muskelgestählter Typ mit nacktem Sixpack-Bauch und langem schwarzem Popelinmantel, offen natürlich; an den Füßen Flip-Flops. Die gleichen gelben von Galeria Kaufhof , wie ich sie gestern noch hatte. Er sang einen Song von Robbie Williams. Leute, was soll ich sagen, er machte seine Sache gut. Er bewegte sich auch gut. Wir durften alle Stimmen abgeben. Dafür brachten uns die Zitrusgirls kleine elektronische Dinger. Ich drückte auf die Fünf. Sechs wäre die höchste Punktzahl gewesen, aber ich wollte nicht so enthusiastisch sein. Schließlich konnte ich Robbie Williams nicht leiden.
Danach kam ein pummeliges Mädchen mit einem Schmusesong. Sie wiegte sich in die eigene Melodie und kriegte Riesenapplaus. Ich drückte wieder die Fünf. So ging das eine Weile. Diese Interpreten gehörten zur Vorrunde, wenn ich das richtig verstanden hatte, und mussten sich für die erste Runde qualifizieren. Die erste Runde war die richtige Runde, Vorentscheid für diese Superstar-Kacke, wo in der Jury aber noch nicht Pieter Mohl saß. Der kam erst ab der zweiten Runde ins Spiel und war in der dritten Runde der entscheidende Faktor – falls ich die Sache korrekt verstanden hatte. Und erst wenn man das alles geschafft hatte, kam man ins Fernsehen und dann ging die ganze Scheiße erst richtig los.
Mensch, Leute, was für ein Aufwand! Warum tut man sich so was an? Nur um berühmt zu werden? Ich musste Sandra I unbedingt überzeugen, dass es noch Wichtigeres im Leben gab, und vor allem, dass sie diesem fiesen Pieter nicht in die Botoxfinger geriet!
Langsam wurde ich unruhig. Ich war schon elf Mal auf Toilette gegangen und hatte mein Wasserglas immer wieder aufgefüllt, hatte vier Mal die Fünf gedrückt und zwei Mal die Drei. Endlich sang die letzte Schlagerschnecke irgendwas von Whitney Houston. Sie hatte diese gesunde Solarium-Bräune, trug eine Straps-Korsage über der Jeans und bestand aus weniger als 39 % Fett . Ihre Klingelton-Stimme vibrierte in meinen Ohren. Ich hätte am liebsten alle Fünfen rückgängig gemacht und Einsen vergeben, um nicht am Untergang dieser Leute beteiligt zu sein, schließlich hat man auch eine gewisse Verantwortung, aber es fiel mir zu spät ein und gedrückt ist gedrückt und so kriegte die letzte Schnecke auch eine Fünf.
Dann war Pause. In der Pause schnorrte ich mir eine Zigarette von dem Zitrusgirl mit den langen Fingernägeln. Wir verschwanden in die hinterste Ecke, wo sie der Chef nicht sehen konnte. Sie kam aus Warschau und erzählte mir, dass sie auch singt. Und wenn man vorher als Hostess im Zitrus gearbeitet habe, werde das bei den Bewerbungen berücksichtigt. Sie hoffte, bei der nächsten Ausscheidung im September dabei zu sein. Eigentlich stünde sie ja nicht auf solche Klubs, überhaupt nicht auf Klubs, eher auf Events, am besten ganz spontane, auf Baustellen, wo keiner genau weiß, was überhaupt abläuft und wer kommt. Da würde es einige geben, im Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain, aber alles streng geheim. Irgendwann taucht ein DJ auf und dann geht die Post ab, aber richtig, total irre sei das, zwischen all den Baggern und Paletten und Kränen und Schubkarren. Das Abgefahrenste überhaupt!
Sie strahlte mich an. Ich staunte über ihr perfektes Deutsch. Ihr polnischer Akzent klang sehr sexy.
Heute Nacht würde irgendwo was in Kreuzberg laufen. Wenn sie noch rauskriegen sollte, wo, würde sie mir Bescheid sagen.
Einer ihrer Fingernägel war abgebrochen. Sie hatte einen Ersatznagel dabei und den passenden Spezialkleber und klebte ihn damit an. Als sie den Nagel trockenpustete, lächelte sie.
»Du siehst auch nicht gerade aus, als wärst du oft in Klubs
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