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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Doelling
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Zunge, denn als sie auf der Baustelle das erste Mal den Mund für mich öffnete, weil wir immer noch lachten, einfach nur so, herzhaft, mit einem kleinen Scherz von ihr und einem kleinen Scherz von mir, und sie merkte, dass ich nicht mehr weggucken konnte, ja mich kaum zurückhalten konnte, ihre Zähne einzeln und von allen Seiten zu berühren, mit dem Finger, mit der Zunge – da riss sie den Mund ganz auf und lachte aus vollem Halse. Mir raspelte eine Gänsehaut über den Rücken. Es war kein Auslachen, Leute, es war eine Äußerung der Lust, ein Urschrei, eine Akkumulation von pheromon-serotonischen Energien, die sie entladen musste, und mir schwellte die Brust, weil ich ihr so einen Ton entlocken konnte.
    Keine fünf Minuten später saßen wir auf ihrem Pferd. Sie vorne, ich hinten. Ich reduzierte mich wieder auf meine normale Größe und suchte nach etwas zum Festhalten hinter mir, eine Gepäckträgerstange oder so was; jedes Moped hat das, aber ein Gaul leider nicht.
    Sie nahm meinen rechten Arm und legte ihn sich um die Hüfte. Dann nahm sie meinen linken Arm und schob ihn von der anderen Seite auf ihre Hüfte.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte sie. Ihre Haare wehten mir ins Gesicht.
    »Hab ich auch nicht«, rief ich, ein bisschen zu laut, jedenfalls zuckte sie zusammen. Dann setzte sich das Pferd in Bewegung und wir ritten dahin, über die Baustelle, an dem Baugerippe vorbei, das wie ein verwestes Tier in den Himmel ragte.
    Hier sollten wohl Büros entstehen, jede Menge Büros, Zimmer mit Tisch, Kaktus, Computer, Papierkorb. Büros eben. Ich sah auf die schwarzen Löcher und fragte mich, in welchem Büro Sandra übernachtet hatte und ob sie das öfter getan hat und ob das unheimlich war, so ganz allein in einem feuchten Büro, ohne Fenster, ohne Computer, ohne Kaktus.
    Ich krallte mich mit den Füßen am Pferdebauch fest, stemmte mich gegen jeden Schritt. Sie hingegen federte mit den Bewegungen des Gauls mit. Das Tier spielte mit den Ohren. In der Reitschule im Grunewald habe ich gelernt, dass das Pferd dann Kontakt zu dem Reiter aufnimmt. Sie war in Kontakt mit dem Pferd und ich war eifersüchtig. Echt, Leute, ich mag es nicht zugeben, aber ich hätte dem verdammten Vieh am liebsten die Löffel abgeschnitten. Sie unterhielten sich ohne Worte, schaukelten sich vorwärts, während ich mich festkrallte und ihre Hüften drückte.
    »Hör auf zu grübeln!«, rief sie mir über die Schulter zu. »Das gibt nur schlechte Vibrationen.«
    Leute! Die Frau hatte Einfühlvermögen! Was man von mir leider nicht sagen konnte.
    V-i-b-r-a-t-i-o-n-e-n – mir fiel zu dem Wort nur mein Eierkocher ein, der mir angeblich schlechte gab.
    »Das heißt vibrations «, sagte ich Klugscheißer hoch zehn. » Good vibrations oder bad vibrations oder kurz: vibes .« Ich hätte mir auf die Zunge beißen können. Dabei war es doch mutig von ihr, von Vibrationen zu reden! Ehrlich, ich bewundere ja auch jeden, der das »th« nicht richtig aussprechen kann.
    Sandra ging nicht darauf ein.
    Wir ritten weiter, auf kleinen Pfaden, am Spreeufer entlang, über Sandhügel, an Kränen vorbei, Bauhütten, Schubkarren, Löffelbaggern.
    Der Himmel war von orangen Schlieren durchzogen. Leute, ich war so glücklich wie die Pferde in diesen Mädchen-Pferdebüchern! Fehlte nur noch, dass wir uns in hellblaue Zuckerwatte wickelten und uns gegenseitig abschleckten.
    Ich saß hinter ihr und hätte ewig so weiterreiten können. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass alles genau richtig, wohltemperiert, schnell genug und echt ist. Am liebsten hätte ich einen backup gemacht, damit ich das nie wieder verliere.
    Dann sah ich die Molekül-Männer.
    »Steig ab«, sagte Sandra und hielt das Pferd an. Vor uns ragten die drei Skulpturen aus dem Wasser.
    Ich stieg ab, stolperte ein paar Schritte zurück. Der Gaul war größer, als ich dachte. Sandra band ihn am Ufergeländer fest. Hier fuhren keine Autos, ein breiter, erdiger Weg zwischen Spree und Parkplätzen. Dahinter jede Menge Bürogebäude, fertige, bezogene, mit Tisch, Kaktus, Computer, Papierkorb.
    Ein paar Jogger kamen vorbei, Fahrradfahrer, zwei Typen mit Hund. Niemand guckte groß aufs Pferd, als würden Pferde immer mal so rumstehen, mitten in Berlin, angebunden an einem Geländer. Wenn ich in Zehlendorf so ein Tier an eine Laterne binden würde, würden mir die rüstigen Rentner schnell aufs Dach steigen und wahrscheinlich gleich Polizei und Gesundheitsamt anrufen. Hier in Kreuzberg,

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