Alles bleibt anders (German Edition)
vom Fahrzeug erfasst wurden.
Erbost blickte der Beifahrer durch das heruntergekurbelte Fenster zu ihnen zurück. In dieser Welt schien der Mittelfinger und nicht der Zeigefinger für Belehrung und Tadel zu stehen, denn diesen reckte ihnen der Beifahrer entgegen, begleitet von einer unflätigen Schimpfkanonade.
»Das System ist pures Chaos«, kommentierte Tristan, während sie schnell außer Sichtweite des aufgebrachten Beifahrers liefen. Sie überquerten eine weitere schmale Straße, auf der zum Glück im Moment kein Auto fuhr und blieben dann an einer öffentlichen Glasvitrine stehen.
Die Inschrift darin – weiße Buchstaben auf schwarzem Grund – lautete: 'Deutschlands größte öffentliche Bibliothek wurde als Geschenk des amerikanischen Volkes zum Gedenken der Blockade-Jahre errichtet.'
»Ein Geschenk des amerikanischen Volkes?«, wiederholte Tristan.
»Der Erfolg unserer Mission rückt näher. Lass uns hineingehen.«
Hinter einer gläsernen Drehtür empfing sie ein Vorraum und Tristans Augen begannen sofort zu glänzen: Auf einem Tisch standen vier Monitore, vier Tastaturen und vier weitere, unbekannte Eingabegeräte, die allesamt über Kabel mit vier Rechnern unterhalb des Tisches verbunden waren. Die Tischplatte befand sich auf Brusthöhe, die Bildschirme waren im Kreis angeordnet. So konnten vier Bibliotheksbesucher gleichzeitig damit arbeiten, mussten dabei aber stehen.
Hinter dem Tisch eine Wand aus schwarzgrauem Stein. Hellgraue Buchstaben waren darin eingelassen und die beiden Reisenden, gierig nach jeglicher Information, entzifferten die Schrift: 'Diese Gründung beruht auf der unbegrenzten Freiheit des menschlichen Geistes. Denn hier scheuen wir uns nicht, der Wahrheit auf allen Wegen zu folgen und selbst den Irrtum zu dulden, solange Vernunft ihn frei und unbehindert bekämpfen kann.
Thomas Jefferson
Zum Gedenken der Jahre 1948-49 wurde dieses Gebäude als Geschenk des amerikanischen Volkes errichtet.'
»Wie es sich darstellt, haben die Amerikaner tatsächlich den Krieg gewonnen.«
»Und sich dann mit uns verbündet und uns beschenkt? Warum sollten sie das tun? Und was ist 1948 passiert? Was meinen die mit Blockade-Jahre?«
»Keine Ahnung. Wir müssen mehr heraus bekommen.«
Tristan stellte sich an einen der beiden Monitore. Die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur war genau so wie er sie kannte. Aus dem klassischen Schreibmaschinen-Schema hervorgegangen, wie bei ihnen zuhause. Wenigstens etwas. Die Funktionsweisen der restlichen Tasten blieb ihm ein Rätsel. Dafür ging ihm sofort auf, wie er das kleine, weiße Eingabegerät rechts benutzen konnte. Den weißen Pfeil auf dem Bildschirm konnte er damit bewegen. Drückte er mit dem Zeigefinger auf die integrierte Taste, so konnte er in das Feld etwas schreiben, in dem sich der Pfeil zuletzt befunden hatte.
»Hier kann man nur nach Buchtiteln und Autoren suchen«, fasste Tristan enttäuscht zusammen.
»Mist.«
»Was nun?«
Dass ihre kurze Unterredung belauscht wurde, hatten sie gar nicht bemerkt.
Als das Mädchen, das neben ihnen stand, sich zu Wort meldete, erschraken sie.
»Drinnen gibt es richtige Internet-Zugänge.«
»Wie bitte?«
»Suchen Sie weitere Informationen?«
Sie lispelte etwas; die Ursache dafür war, dass dem Mädchen beide Schneidezähne fehlten.
»Äh, ja.«
»Drinnen sind Terminals. Mit denen kann man ins Internet. Wenn gerade was frei ist. Da kann man sich auch hinsetzen. Die Bildschirme hier sind viel zu hoch.«
Sie grinste. Links und rechts ihres sommersprossigen Gesichts war ihr Haar zu zwei Zöpfen geflochten.
»Was ist das: Internet?«
»Mein Papa hat es mir erklärt. Ich zeige es Ihnen!«
Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass ihre Mutter an einem der Tresen noch mit der Rückgabe diverser Kinderbücher beschäftigt war, dann packte sie Tristan an der Hand und zog ihn mit sich ins Innere der Bibliothek. Frank folgte.
Das Mädchen führte die beiden an mehreren Bücherregalen vorbei, bog um zwei Ecken und schließlich erreichte die ungleiche Gruppe einen Bereich, in dem an zehn Tischen die Möglichkeit bestand, mit den bibliothekseigenen Rechnern zu arbeiten.
Sie hatten Glück, einer davon war frei. Tristan setzte sich, bevor ein anderer Besucher schneller war und Frank zog sich einen Stuhl heran, und gesellte sich zu ihm.
»Jetzt muss ich aber wieder los. Sonst sucht mich meine Mama.«
»Warte! Wie heißt du?«, wollte Frank wissen.
»Amelie«, sagte das Mädchen.
»Danke, Amelie.«
»Aber gerne.«
Das
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