Alles bleibt anders (German Edition)
manche analoge Entwicklung gab.«
Es klingelte.
Frank und Tristan sahen erschrocken nach links.
Eine Frau mit roten, wehenden Haaren näherte sich mit rasanter Geschwindigkeit auf ihrem Fahrrad und machte keine Anstalten abzubremsen. Die beiden sprangen gerade noch rechtzeitig ein Stück zurück.
Ihr Höllentempo beibehaltend, fuhr die Frau geradewegs, ohne sich nach links oder rechts abzusichern über die Straße, die unterhalb und parallel der Hochbahn verlief. Das Licht der Ampel, das die Frau ignorierte, leuchtete rot.
»Interessant. 'Rot' scheint hier 'frei' zu bedeuten.«
»Auch der Abschnitt des Bürgersteigs, auf dem wir standen, ist in rot gehalten.«
»Wahrscheinlich hat sie deswegen auf ihr Recht gepocht.«
»Wenn auch die U-Bahnhöfe so platziert sind wie bei uns, dann finden wir dort drüben das 'Schlesische Tor'.«
Tatsächlich, sie mussten nicht weit gehen, dann sahen sie das einzeln auf einer Verkehrsinsel stehende Gebäude, durch das man zu den beiden Trassen der U-Bahn hinauf steigen konnte.
Verwundert nahmen sie von oben bis unten verschleierte Frauen zur Kenntnis, die ihren Weg kreuzten, und Männer, die ohne Zweifel zum größten Teil türkischer Abstammung waren.
Das Rauchen in der Öffentlichkeit schien nicht unter Strafe zu stehen, oder es scherte sich schlicht und einfach niemand darum. Und immer wieder entdeckten sie Geschäfte mit diesen beiden Wörtern, die sie noch nie gehört hatten.
»Scheint eine Art Nationalgericht hier zu sein.«
Um nicht aufzufallen, gingen sie wie alle anderen auch, bei rotem Ampellicht über die Straße, hinüber zur Verkehrsinsel. Das Bahnhofsgebäude selbst war völlig verschmiert. Irgendwelche bunten Kritzeleien ohne Sinn und Zweck. Frank und Tristan kannten das 'Schlesische Tor' nur sauber und weiß gestrichen. In ihrer Erinnerung glänzte es in der Sonne. 'Ihr' U-Bahnhof war sauber und ordentlich: Es lagen selbstverständlich keine Bierdosen, Essensreste oder Zigarettenfilter umher.
»Dort.«
Tristan deutete auf ein ausgetrocknetes Kondom, das auf dem Gehweg lag.
Frank schüttelte nur den Kopf.
Sie traten in einen runden Raum, aus dem eine breite Treppe nach oben zu einem Absatz führte, von dem man über zwei weitere Treppen nach oben zu den Gleisen gelangte.
Trotz der frühen Stunde herrschte bereits ein großes Durcheinander im U-Bahnhof.
»Brauchste 'ne Fahrkarte?«
Ein hagerer, junger Mann stupste Frank an und hauchte ihm seinen schlechten Atem ins Gesicht.
Frank wich zurück.
Haare und Zähne des Mannes waren ungepflegt.
Gab es denn weder Zahnpasta noch Haarwaschmittel in dieser Welt?
»Ähm, ja«, antwortete Frank.
Der Mann streckte Frank ein beinahe handtellergroßes Stück Papier entgegen.
»Is' noch fast 'ne Stunde gültig. Für nur einen Euro!«
»Für einen was?«
»Für einen Euro!«
Der verständnislose Blick Franks irritierte den Mann, er widmete sich lieber einem anderen Passanten: »Brauchste 'ne Fahrkarte?«
»Schon komisch, wie in dieser Realität die Billet-Verkäufer aussehen.«
»Es gibt auch Automaten«, entdeckte Tristan gerade und las sich durch, was auf der Monitoranzeige stand.
»Sie haben hier keine Reichs-Mark. Die Währung nennt sich Euro und eine Fahrkarte kostet zwei Euro.«
»Du meinst, der Billet-Verkäufer gerade eben, hätte uns Rabatt gewährt?«
»Ich verstehe es auch nicht.«
Während Tristan weiter die Worte und die Funktionsweise des Bildschirms studierte, sah Frank ein Mädchen und einen Jungen, die auf den untersten Treppenstufen saßen. Frank schätzte, dass sie beide noch unter zwanzig waren. Zwischen den beiden schlief ein großer Hund, dessen Kopf auf den Oberschenkeln des Mädchens ruhte. Die Rasse war undefinierbar, auf jeden Fall aber musste ein Schäferhund im Stammbaum gewesen sein.
Was Frank am meisten irritierte, war das Aussehen der beiden Jugendlichen. Er war auf der Krim gewesen, und in der Stadt des Endsiegs, aber etwas Vergleichbares zu den zweien war ihm bislang nicht untergekommen.
Das Haar des Mädchens war grellgelb und schulterlang. Das heißt, es wäre schulterlang gewesen, wenn das Mädchen nicht auf die Idee gekommen wäre, es so zu drapieren, dass es in allen Richtungen starr und fest vom Kopf abstand, gerade so, als hätte sie morgens in eine Steckdose gefasst. Um das rechte Auge hatte es sich einen schwarzen Kreis geschminkt, farblich passend zum verwendeten Lippenstift. Im linken Nasenflügel steckte ein silberner Ring, der mit einer kleinen, leicht durchhängenden Kette mit dem Ring im
Weitere Kostenlose Bücher