Alles bleibt anders (German Edition)
Mädchen machte einen Knicks, grinste den beiden ein letztes Mal zu und flitzte dann um die Ecke.
»Bitte Suchbegriff eingeben«, las Tristan.
Die Vorgehensweise bei der Bedienung der Programme unterschied sich sehr von der, mit der Tristan vertraut war. Die Logik dahinter war jedoch eine ähnliche und es dauerte nicht lange, bis Tristan mit der gleichen Virtuosität über Seiten glitt und Informationen abrief, wie man es von ihm gewohnt war.
Frank blieb seine Vorgehensweise ein Buch mit sieben Siegeln. Er sagte Tristan, wonach er Ausschau halten sollte und was ihn interessierte und Tristan aktivierte die entsprechenden Prozesse.
Was geschah am 5. Juni 1944?
Welche Konsequenzen hatten sich für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte und für die aktuelle weltpolitische Situation ergeben?
In welchem Zustand befand sich die staatliche und gesellschaftliche Ordnung Europas?
Und in welchem Verhältnis stand der Erzrivale vom Kontinent jenseits des großen Teichs?
Mit großen Augen und gewaltigem Hunger verschlangen Frank und Tristan die Fakten, die vor ihnen über den Bildschirm wanderten.
Es war eine überaus fremde Historie, viel ungewöhnlicher als sie oder Robert erwartet hatten. Sie klärten Zusammenhänge, erschlossen sich Querverweise, lernten eine Geschichte, die nicht die ihre war.
Ihren tatsächlichen Hunger vergaßen sie genau so wie die Zeit, angesichts der Fülle an Informationen, die auf sie einstürzte.
Wie ein Gemälde, das Pinselstrich für Pinselstrich seiner Vollendung entgegenstrebt, fügte sich eins ins andere und den beiden bot sich schließlich eine Gesamtsicht auf all die politischen Ereignisse, die dem 5. Juni 1944 gefolgt waren.
Jemand tippte Frank auf die Schulter. Eine Frau, deren auffällig rotes und an den Seiten spitz zulaufendes Brillengestell ihr Gesicht dominierte, blickte mit strengem Blick auf ihn hinab. »Sie blockieren jetzt schon seit Stunden dieses Terminal. Andere möchten auch mal ran.«
»Nur noch ein paar Minuten«, sagte Frank und zum Glück erhob sich gerade eine Frau am Tisch neben ihm und hinterließ einen freien Arbeitsplatz. Der ältere Herr nahm ihn schnell ein, bevor ihm jemand zuvorkam.
Ihrer Argumentationshilfe beraubt, rauschte die Frau mit der roten Brille davon, beobachtete aber von weitem, ob eventuell ein anderer Besucher an den seit Stunden von den beiden Männern blockierten Zugang wollte.
Frank hatte zwei Varianten der Charité kennen gelernt, er überprüfte, ob es das Krankenhaus auch in dieser Realität gab und war überrascht, dass sie wiederum existierte, aber sich baulich ein weiteres Mal unterschied.
»Wir wissen, dass unsere beiden Alter Egos hier in diesem Berlin leben«, sagte er dann, »auch die von Karen und Dieter. Frag 'Claire Wiegand' ab, nein: 'Claire Hellstein'. Und 'Jakob Levy'.«
Tristan gab dem Rechner die entsprechenden Anweisungen, die Anzeigen auf dem Bildschirm veränderten sich.
»'Robert Gothaer'«, sagte Frank schließlich. »Es ist nicht sein ursprünglicher Name.«
»Gothare«, erinnerte sich Tristan, »sein Vater war bei der Britischen Luftwaffe. Möglicherweise war er in die Ereignisse im Juni 1944 involviert.«
»'Frank Gothare'«, kam ihm Frank zuvor, »er hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass wir Namensvettern sind.«
Auch über 'Frank Gothare' gab es einen Eintrag und sie nahmen ihn mit Interesse und Bestürzung zur Kenntnis.
Die Bibliotheksangestellte kam wieder angewalzt.
Die beiden wollten kein weiteres Aufsehen erregen. Also standen sie auf und gaben den Arbeitsbereich für andere frei. Sie hatten herausgefunden, was sie wissen wollten und verließen die Amerika-Gedenk-Bibliothek.
Mit lautem Magenknurren machte sich ihr Hunger bemerkbar.
Gerne hätten sie noch von dieser Berliner Speise mit dem fremd klingenden Namen gekostet. Doch nach wie vor hatten sie kein Geld und sie wollten nun auch so schnell wie möglich zurück und die anderen über all das informieren, was sie in Erfahrung gebracht hatten.
Es sah so aus, als suchten sie sich eine menschenleere Ecke, um ihr Geschäft zu verrichten, als sie raschelnd in den Büschen neben dem Bibliotheksgebäude verschwanden.
Falls sie jemand beobachtet hatte, würde dieser Jemand sich wundern, dass sie nicht mehr wiederkamen, denn in den Büschen aktivierten sie ihre Signalgeber.
Das Essen eines 'Döner Kebab' wurde auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.
5
»Was geschah denn nun am 5. Juni 1944?«, fragte Robert ungeduldig.
»Nichts! Nichts geschah am 5.
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