Alles bleibt anders (German Edition)
und ich gedacht hatten.«
Über den Tisch greifend, nahm Frank ihre Hände in die seinen.
»Ich wollte deinem Vater dann mehrmals von deinen Verlobungsplänen erzählen. Ich war aber immer unschlüssig, ob es gut für ihn wäre. Irgendwann war mir die Entscheidung abgenommen …«
Frank sagte nichts.
Nach einer Weile stand er auf, kippte neuen Teig aus der Schüssel in die Pfanne und drehte das Gas wieder an. Schweigend aßen beide einen weiteren Eierkuchen.
Frank sprach danach als erster wieder.
»Was ist aus ihr geworden?«
»Zunächst hatten wir uns fast täglich gesehen. Vereint im Schmerz. Die Verluste gemeinsam zu tragen, hat uns die Kraft gegeben, das alles durchzustehen. Doch die wechselseitigen Besuche wurden irgendwann weniger. Der Alltag hatte uns eingeholt. Es musste weiter gehen. Auch das hatten wir gemeinsam: Aufgeben wollten wir beide nicht. Ich überlebte auf meine Weise, sie auf die ihre.«
»Was meinst du damit?«
»Sie ist heute verheiratet. Mit einem ehemaligen Studienfreund von dir: Dieter Wiegand. Er hat sie, genau wie ich, getröstet in jenen Tagen. Und daraus ist dann wohl mehr geworden. Sie hatte mich zur Hochzeit eingeladen. Hingegangen bin ich nicht. Hätte wahrscheinlich viel zu viele Erinnerungen in uns beiden geweckt.«
Obwohl er sich an Claire nicht erinnern konnte, verkrampfte sich etwas in Frank. Er spürte ein Echo, tief drinnen, im Innersten seiner Seele.
»Ich werde zu ihr gehen!«, sagte er entschlossen.
»Ich halte das für keine gute Idee.«
»Ich muss zu ihr gehen. Vielleicht finde ich dort eine Antwort auf die vielen Fragen.«
Luises eigener Schreck war schon groß genug gewesen, als sie Frank am Morgen gegenüber gestanden hatte. Im Gegensatz zu Claire jedoch, hatte sie Franks Tod nie akzeptiert. Welch Auswirkungen mochte es auf Claire haben, stände sie Frank, dem Totgeglaubten, plötzlich gegenüber?
Und welche Rückwirkung hätte dies auf ihren Sohn?
»Ich werde heute noch zu ihr fahren! Wo wohnt sie?«
Auf der einen Waagschale Franks quälende Ungewissheit, auf der anderen die Angst vor der Konfrontation mit seiner Vergangenheit. Luise spürte, dass sie Frank nicht aufhalten konnte. Er musste seine Entscheidung selbst treffen.
»Unten in Dahlem«, gab sie nach, »ich gebe dir die Adresse.«
Luise ging hinüber in die Stube und Frank hörte, wie sie eine Schublade aufzog und wieder schloss.
Zurück in die Küche kam sie mit einem kleinen Adressbuch, einem Notizzettel und einem Bleistift. Danach setzte sie sich, suchte im Adressbuch nach der gewünschten Anschrift und übertrug sie auf den Zettel, den sie an Frank weiter gab.
»Du fährst am besten mit der Elektrischen nach Dahlem runter, die haben die Strecke inzwischen bis dorthin verlängert, du musst zwei Mal umsteigen. Ich schreib dir alles auf.« Dann korrigierte sie sich. »Nein, du nimmst dir besser eine Droschke. Kostet ein paar Pfennige mehr, ist aber sicher einfacher für dich, du kennst dich ja nicht aus. Du wirst Geld brauchen.«
Sie blätterte in ihrem Adressbuch nach hinten, dort kamen mehrere Geldscheine zum Vorschein, drei grüne drückte sie Frank in die Hand.
'Die Bank von Preußen verpflichtet sich, dem Überbringer dieser Banknote einen Betrag von zehn Reichsmark auszuzahlen.' konnte Frank auf jedem der Scheine lesen. Daneben sah er das Konterfei eines ihm unbekannten, jungen Mannes mit Glatze und Oberlippenbart.
»Georg Friedrich«, erklärte Luise, als sie Franks fragenden Blick bemerkte, »unser Kaiser.«
Bevor Frank losging, drückte Luise ihm noch eine Jacke und einen Schlüsselbund in die Hand.
»Falls es später wird. Ich glaube zwar nicht, dass ich schlafen kann, aber sicher ist sicher. Der kleinere Schlüssel ist unten für die Haustür, der größere für die Wohnungstür. Du kommst doch hierher zurück, heute Nacht?«
Frank nickte, küsste seine Mutter einem Instinkt folgend auf die Wange und machte sich auf den Weg.
»Sei vorsichtig«, flüsterte sie ihm hinterher.
Er ging ein paar Schritte zu Fuß und als er an eine etwas belebtere Straße kam, sah er auch schon drei Droschken ohne Fahrgäste am Straßenrand stehen. Er nahm sich eine davon und nannte dem Kutscher Claires Adresse. Die Augen des Kutschers glänzten, als er das Pferd in Trab setzte. Die Strecke schien ein gutes Geschäft zu sein. Und in der Tat, Frank schätzte, dass sie beinahe eine Stunde unterwegs waren.
Dann endlich Dahlem. In der Straße, die ihm seine Mutter aufgeschrieben hatte, angekommen, bezahlte Frank den
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