Alles bleibt anders (German Edition)
gewünschten Fahrpreis und stieg aus. Er sah fast ausschließlich Villen mit kleinen Vorgärten. Die beginnende Dämmerung verdrängte das Tageslicht und die Gaslaternen, die die Straße flankierten, flackerten kurz, um dann mit voller Kraft die vornehme Gegend zu erhellen.
Die gesuchte Hausnummer 27 gehörte zu einem allein stehenden Haus mit zwei Stockwerken, das den Vergleich mit den anderen hier nicht zu scheuen brauchte. Haus und Vorgarten waren gepflegt. Hinter zwei Fenstern im Erdgeschoss brannte Licht. Es war aber keine Bewegung hinter den Gardinen zu erkennen.
Frank drückte die Klinke der Gartentür nach unten und ging auf das Haus zu. Drei Stufen führten nach oben zur Haustür, die ein eiserner Türklopfer in Form eines Löwenkopfes zierte. Er atmete noch einmal tief durch und betätigte ihn.
Leise Schritte waren hinter der Tür zu hören, bevor sie sich öffnete.
Ein Mann stand vor ihm. Augenkontakt. Es war eine für Frank undeutbare Emotion, die da für den Bruchteil einer Sekunde in seinem Gegenüber zu erkennen war. Da war sie auch schon wieder verschwunden und nicht mehr zu fassen.
Der Mann, Dieter Wiegand, hatte schwarzes, an den Schläfen bereits frühzeitig ergrauendes Haar, an der Seite gescheitelt. Sein Oberlippenbart war fast fünfzehn Zentimeter breit, sauber gepflegt und endete an beiden Seiten zu einem nach oben führenden Halbbogen gezwirbelt. Er trug ein Monokel im rechten Auge, in der Hand hielt er eine noch rauchende Pfeife. Wiegand war ordentlich gekleidet, er trug ein makelloses weißes Hemd und eine Fliege, die er der Bequemlichkeit halber etwas gelockert hatte. Frank schätzte ihn auf vierzig Jahre oder knapp darunter.
»Ja, bitte?«
Frank stutzte.
»Sie wünschen?«, drängte Wiegand kurz darauf.
Von hinten, nur unweit entfernt, war nun eine weibliche Stimme zu hören.
»Wer ist denn da, Dieter?«
Frank sah, wie sein Gegenüber versuchte, die Tür so weit zu schließen und sich so zu postieren, dass die Sicht zwischen Wohnungsinnerem und draußen versperrt war.
Zu spät. Eine Hand hatte bereits nach der Türkante gegriffen und zog die Tür nun zu sich nach innen.
Die schlanke Frau, die jetzt zum Vorschein kam, trug einen langen blauen Rock, eine hellblaue Bluse dazu, mit kurzen gebauschten Ärmeln. Ein goldenes Halskettchen verschwand im züchtig wirkenden Dekolleté, zwei eher unauffällige schwarz-goldene Ohrringe wurden vom langen braunen Haar fast verdeckt, das ihr zartes Gesicht umrahmte.
Es war tatsächlich die Frau auf dem Foto, die Frank nun hinter Wiegand erkannte.
Ein wenig älter zwar, aber das hatte ihre Attraktivität eher noch erhöht.
In den blauen Augen spiegelte sich Erkennen.
»Frank?«
Frank spürte eine Verbindung zu dieser Frau, ein unsichtbares Band, wie er es auch wahrgenommen hatte, als er seiner Mutter gegenüber gestanden hatte. Aber er war zu keiner Antwort fähig. Viel zu viele Gedanken stritten in seinem Kopf um die Vorherrschaft. Er deutete ein Nicken an.
Die scharfen Worte, die folgten, zerschnitten dieses vereinende Band wie ein Rasiermesser.
»Nein! Ich weiß nicht, wer Sie sind. Aber Sie sind nicht Frank Miller!«
Und dann, als Frank sich immer noch nicht rührte: »Weg! Gehen Sie weg!«
Da er nicht die Konsequenzen zog, zog Claire sie.
Mit einem entschiedenen Ruck drehte sie sich um und verschwand im Hausinnern. Jetzt konnte sich Frank endlich wieder rühren und versuchte, ihr zu folgen, doch Wiegand versperrte ihm den Durchgang.
»Nein! Sie haben meine Frau gehört! Gehen Sie!«
Frank verharrte vor der drohend vor ihm aufgerichteten Gestalt. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Frank rang mit sich, ob er den Kontrahenten einfach umrennen oder niederschlagen sollte. Doch sein Verstand, der ihm sagte, dass es besser wäre, sich erst einmal zurück zu ziehen, siegte. Schließlich drehte auch er sich um und ging ruhigen Schrittes durch den Vorgarten und passierte die Gartentür.
Er hatte den Rückzug angetreten.
Bereits nach wenigen Minuten fand er eine freie Droschke. Als er einstieg und die Adresse seiner Mutter nannte, glaubte er aus den Augenwinkeln eine Gestalt an einer Häuserecke zu erkennen, er spürte deren Blicke. Doch als er sich danach umdrehte, sah er nur noch einen Schatten, der hinter der Ecke verschwand.
Das eben Geschehene beschäftigte seine Gedanken. Etwas war merkwürdig. Sowohl bei Dieter als auch bei Claire hatte er in der ersten Schrecksekunde ein Wiedererkennen gespürt, das sich dann in ihrer folgenden Reaktion
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