Alles bleibt anders (German Edition)
nicht mehr wieder gespiegelt hatte.
Wieso hatte Claire ihn verleugnet?
Und wie ein ehemaliger Kommilitone, wie seine Mutter ihn bezeichnet hatte, hatte Dieter nicht auf Frank gewirkt.
Die Einstellung Dieters ihm gegenüber war eher als 'abwartend, abschätzend' zu spüren gewesen. Warum?
Als er sich zurücklehnte, spürte er das Metall seines Medaillons auf der Brust. Einem Gefühl folgend, korrigierte er beim Kutscher sein Fahrtziel und ließ sich zum Dreifaltigkeitsfriedhof fahren. Dort angekommen, fand er das Familiengrab der Millers mühelos wieder. Es war inzwischen dunkel geworden und Frank konnte gerade noch so die Gravur auf dem Grabstein erkennen. Er sah um sich und vergewisserte sich, dass er nicht beobachtet wurde. Dann zog er die Halskette mit dem Medaillon über seinen Kopf, ging in die Knie und vergrub es inmitten des Efeus in der linken unteren Kante des Beets. Mit den Fingerspitzen verwischte er die Spuren. Gut, die Oberfläche sah wieder so unberührt aus wie zuvor.
Abschließend spritzte er noch etwas Weihwasser aufs Grab und eilte dann davon.
Gerade noch rechtzeitig gelangte er ans Tor. Ein Friedhofsgärtner wollte es eben schließen. Er musterte Frank mit hoch gezogenen Augenbrauen, doch dann war Frank auch schon in der Dunkelheit verschwunden.
6
Ein Mann mit einem verbundenen Arm war vor ihm da gewesen, und eine Frau mit einem übergewichtigen Jungen. Der Junge hatte die Wangen dick aufgebläht und ein Tuch um den Kopf gewickelt, das oben verknotet war. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Die Frau hatte zuerst einem Wasserfall gleich auf den Mann eingeredet und als die schwere Eichentür aufgegangen und eine etwa fünfzigjährige Frau in weißem Kittel mit den Worten »Der Nächste, bitte!« erschienen war, war der Mann, Erleichterung in seinem Blick, im Sprechzimmer verschwunden. Danach wandte sich die Frau an Frank, berichtete ihm in hastigen Worten und ohne Zusammenhang Geschichten aus ihrer Nachbarschaft, Jugenderinnerungen und über Probleme bei der Kindererziehung. Luft zu holen schien sie nicht, jedoch gelang es ihr, mit etwa jedem fünften Satz, ihren Jungen zu Recht zu weisen, was dieser wiederum vollkommen ignorierte. Frank gelang dies nicht und quälte sich immer mal wieder ein 'ja' oder ein 'mhmm' hervor. Ein buntes Sammelsurium, das da auf ihn einprasselte. Vergleichbar mit all dem anderen scheinbar Unbekannten, das seit zwei Tagen auf ihn einströmte.
Als die Tür nach ein paar Minuten wieder aufging und der Mann mit frischem Verband im Türrahmen erschien, packte die Frau ihren Jungen am Arm und zog ihn, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, ins Sprechzimmer hinein. Franks Gesichtsausdruck glich nun dem des anderen Patienten von vorhin.
Kurz darauf ging die Tür schon wieder auf und es machte auf Frank den Eindruck, dass die Arzthelferin die Mutter mit ihrem Jungen regelrecht vor sich her schob. Diese hatte nun ein braunes Medizinfläschchen in der Hand und redete mit einem imaginären Gesprächspartner. Hilfe suchend blickte die Arzthelferin zu Frank und bat ihn mit einem entschlossenen Kopfnicken, schnell einzutreten. Frank folgte ihrem stillen Wunsch und die Arzthelferin schloss eilig die Tür zwischen sich und der anderen Frau.
Frank sah einen an einem Schreibtisch sitzenden Mann, ebenfalls mit einem weißen Kittel bekleidet. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch und das Haupt zwischen seine Hände gestützt, vereinzelt war noch weißer Flaum zu erkennen, wo früher sein Haupthaar gewesen war. Sein Blick war nach unten gesenkt und richtete sich nun nach oben, als er Frank bemerkte.
»Diese Frau Stepanek«, er schüttelte den Kopf. »Und was kann ich für Sie tun?«
Dann, er hatte die Frage kaum ausgesprochen, wurde er mit einem Schlag aschfahl; er stand auf und fiel wieder zurück in seinen Stuhl.
»Was ist los, Konrad?«
Die Frau eilte zu ihm, tätschelte ihm die Hand und beobachtete hoffnungsvoll, ob das Blut wieder in sein Gesicht zurückkehrte.
»Nein. Das gibt es nicht.«
»Konrad.«
»Erinnerst du dich an Frank Miller, Martha, den Sohn von Luise Miller?«
Jetzt verschwand auch bei der Arzthelferin jegliche Farbe aus dem Gesicht und sie stützte sich am Schreibtisch ab.
»Dr. Anklamer.« Frank nickte den beiden zu.
»Entschuldigen Sie, Sie sehen einem meiner früheren Patienten unglaublich ähnlich.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Dr. Anklamer, ich denke, ich bin Ihr früherer Patient.«
»Aber das kann nicht sein«, erwiderte der Arzt,
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