Alles Boese mir vergib
hatte. Das war unverzeihlich und musste thematisiert werden.
„So! Bumm!“, sagte Borste und schlug die Hände zusammen. „Bevor wir weitergehen, müssen wir erst mal auftanken.“ Er hielt eine durchsichtige Plastiktüte mit vier kleinen Pillen hoch.
Ich streckte die Hand aus, warf eine Pille ein und wartete.
In mir prickelte es. Wir zogen weiter. Gegen vier ließ die Wirkung etwas nach und ich dachte wieder an den Flughafen.
„Das schaffst du nie im Leben“, sagte Borste.
„Fuck. Das muss ich aber, verdammt. Sonst bringen mich Liv und Mateus um.“
„Dann nimm noch eine.“
Haps. Runter damit.
Ich stand bereits am Flughafen, als Mateus kam.
„Warum gehst du nicht ans Telefon?“, fragte er gereizt.
„Der Akku ist leer“, sagte ich. „Es geht nicht mehr.“
„Gibt es irgendwelche Verspätungen?“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“ Mateus ging Kaffee holen. Ich saß zuckend auf einer Bank. Trommelte mir ein wenig mit den Fingern auf die Beine. Wippte mit dem Knie.
„Hast du Veronica denn mal genagelt in letzter Zeit?“, fragte ich ihn, kaum dass er zurück war.
„Wir hatten gestern einen total schönen Abend“, erwiderte er.
„Super. Hat sie dich rangelassen?“
„Jetzt hör doch auf. Wir waren im Kino und haben den neuen Stieg-Larsson-Film gesehen und Pizza gegessen. Danach sind wir heim. Ich bin echt scheißmüde. Wir haben uns bis um zwei Uhr unterhalten.“
„Und dann habt ihr euch schlafen gelegt?“
„Nein.“ Warum sah er bloß nicht ein, dass das lächerlich war? Warum schickte er sie nicht endlich in die Wüste? Jeder Depp konnte sehen, dass Veronica einen Buchhalter wollte, aber Mateus verdiente ein richtiges Mädchen, in das er sich verlieben konnte.
„Liebst du sie?“, fragte ich.
„Sie ist total nett“, antwortete er.
„Hast du ihr gesagt, dass du sie liebst?“
„Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“
„Weil ich dir die Scheiße nicht abnehme. Vor ein paar Monaten noch hast du Kopenhagens Homoszene erforscht – und das gründlich – und jetzt? Jetzt bist du mit der größten Anti-Homo-Frau der Welt zusammen.“ Er drehte sich zu mir um.
„Und warum glaubst du nicht, dass das möglich ist?“
„Weil … weil … weil ich dich kenne, Mann. Ich weiß haargenau, wie du tickst, wie du aussiehst, wenn du glücklich bist. Weil du nicht der Typ bist, der feines Porzellan sammelt, okay? Du bist ein richtiger Hund. Kein dämlicher Dackel, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Na gut. Wenn du es wirklich wissen willst: Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe.“ Er schäumte vor Wut.
„Ihr Flugzeug ist gelandet“, sagte ich.
Er stand auf und stellte sich mit dem Rücken zu mir vor mich. Eine halbe Stunde verging, ohne dass wir ein Wort sagten. Dann kam Liv mit ihren Eltern raus. Ich führte einen Siegestanz auf und wirbelte sie durch die Luft. Es war großartig, sie wiederzusehen. Und plötzlich traf mich die Müdigkeit wie ein Vorschlaghammer. Ich umarmte sie noch ein letztes Mal, nahm mir ein Taxi und fuhr nach Hause. Sollte Mateus doch bei Liv mitfahren.
Ich war groggy, als ich an Livs Haustür klingelte. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil man anscheinend nicht frisch und munter aufwacht, wenn man am Vorabend Speed genommen hat. Zum anderen war Ikarus zurück. Ich hatte eine neue Nachricht auf Facebook gehabt.
Du findest Jonathan nicht, indem du mit Borste sprichst. Halte dich von ihm fern.
Ich war mir sicher, dass weder Mateus noch Liv diese Nachricht bekommen hatten. Zugleich hatte ich wieder das unbehagliche Gefühl, überwacht zu werden. Ikarus war für uns der Anlass gewesen zu glauben, dass Jonathan noch lebte, aber auch das Symbol dafür, dass er es nicht mehr tat. Ich meine, wir fanden ihn ja nie.
Im Gymnasium dachte ich ständig an Jonathan. Und die Traurigkeit, die ich schon die ganzen Ferien über bekämpft hatte, kam zurück. Sie steckte tief in meinem Rückenmark, als mein Finger auf die Klingel drückte.
Sie hockten in Livs Zimmer, Mateus und sie. Mateus wirkte immer noch sauer, Liv eher locker. Wir hörten Musik und unterhielten uns.
„Seid ihr auch zu der Trauerfeier eingeladen?“, fragte Liv. Wir nickten beide.
„Es stand auch in der Zeitung. Lars hat sie dazu gebracht, noch einen letzten Artikel zu drucken. Ich glaube, sie versuchen eine Art Abschluss zu finden“, meinte Liv.
„Das wird bestimmt komisch“, sagte Mateus. Liv seufzte.
„Hey Nick!“ Plötzlich stand Carl-Philip in der Tür. „Gehst
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