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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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nie. Ich meine, Fehler machen alle, ich auch …«
    »Nein, nein, ich meine, wirklich schweres Kaliber, ein Fehler, der Sie den Job kosten kann.«
    »Noch nie«, antwortete Ingomar. »So etwas ist mir noch nie passiert.«
    »Sehen Sie? Das gilt nicht nur für Sie, sondern für die meisten Berufe, für alle wahrscheinlich. Natürlich gibt es Handwerker, die Mist bauen, natürlich machen Ärzte Kunstfehler – aber doch nicht alle und nicht dauernd! Die große Mehrheit macht einfach den Job und aus. Keine Probleme. Mit dem Verbrechen ist es genauso. Die meisten Verbrecher sind nun aber Amateure – deren Pläne neigen tatsächlich dazu, schiefzugehen, wenn sie überhaupt Pläne haben. Berufsverbrechern passiert das nicht. Die sind in ihrer Profession nicht besser oder schlechter als Ärzte, Anwälte oder Journalisten.«
    »Dann wären wir Berufsverbrecher?«
    »Technisch können Sie es so sehen. Wir tun diese Dinge nicht wegen dunkler Leidenschaften und nicht, weil wir schicksalhaft hineingeraten sind … hineingeraten, so heißt es doch immer … Wir machen einfach unseren Job. Weil er gemacht werden muss. Basta.«
    Sie waren an der Abwasserreinigungsanlage angekommen. Weiß stieg aus und schloss das Tor auf. Er winkte, Ingomar fuhr auf den Hof, Weiß schloss das Tor und stieg wieder ein. Er dirigierte Ingomar zur unscheinbaren Blechhütte am Fuße des nördlichen Gärturms. Sie stiegen aus, Weiß hantierte am Vorhängeschloss der Hütte.
    »Das ist es?«, fragte Ingomar. »Da drin?«
    »Was haben Sie erwartet? Einen Portikus mit ionischen Säulen? Trauermarsch aus gedeckten Lautsprechern? Das ist eine Anlage zum Zermahlen von Fleischabfällen, weiter nichts. Jetzt helfen Sie mir!«
    Er machte die Flügeltür weit auf, sie trugen den Leichnam ins Innere, legten ihn auf den Boden. Weiß machte Licht und schaltete den Motor ein. Ingomar erblickte den großen Trichter.
    »Schauen Sie ruhig rein!«, ermunterte ihn Weiß.
    Ingomar schaute hinein, sah die ineinander rotierenden Förderschnecken; da begann es. Es wurde ihm – komisch zumute, als hätte er etwas zu Fettes gegessen, aber jetzt war keine Zeit, darauf zu achten und zu reagieren; Weiß drängte ihn, den Leichnam aufzuheben, wieder an den Händen. Es war eine Sache, den Mann ein paar Meter zu tragen, eine andere, ihn auf Kopfhöhe zu heben, sie lehnten ihn an den Trichter und schoben in dann am glatten Metall nach oben, jeder hatte ein Bein gepackt, Karasek war schwer trotz der Joggerei; es hat ihm nichts genützt, das Rennen, fuhr es Ingomar durch den Kopf, nicht beim Abnehmen und hier erst recht nicht …Aber vielleicht hatte er gar nicht abnehmen wollen, der Stadtrat Oswald Karasek und war nur aus allgemein gesundheitlichen Gründen gelaufen … Der Oberkörper kippte über den Rand. »Weiter!«, rief Weiß, »nachstoßen!« Und sie schoben weiter und stießen nach, wuchteten die Beine über den Rand. Ingomar schaute zu, wie die sterbliche Hülle Karaseks auf der Innenseite des Trichters hinabrutschte, träge, fließende Bewegung. Einen Augenblick schien es, als wolle Karasek im Rutschen innehalten, der Gravitation trotzen, aber die setzte sich doch durch, die Gravitation im Wettstreit mit der Haftreibung von Jogginganzugstoff auf glattem Blech. Und Ingomar schaute zu. Der Kopf Karaseks kam als Erstes unten an. Ingomar hätte nicht zuschauen sollen. Und nicht zuhören.
    Ingomar fiel in eine Art Starre, aus der ihn erst der Brechanfall auf der Toilette der ARA befreite. Er wusste, dass er erstens etwas auch nur entfernt Ähnliches nie mehr sehen und vor allem nicht hören wollte und dass ihn zweitens das einmal Gesehene und Gehörte bis an sein Lebensende verfolgen würde. Und wenn ich nun davon träume, dachte er, dann wach ich auf und kann nicht mehr einschlafen; wenn mir das jede Nacht passiert, komme ich um, ohne Schlaf kann kein Mensch existieren … »Man gewöhnt sich dran«, unterbrach Nathanael Weiß seine trüben Gedanken und verscheuchte die aufkeimende Panik. Was sehr merkwürdig war.
    »Kommen Sie«, befahl Weiß, packte Ingomar am Arm und zog ihn wieder Richtung Blechhütte. Ingomar versuchte sich zu wehren, war dem durchtrainierten Polizisten aber körperlich unterlegen. »Das hat keinen Zweck, das wirken zu lassen!«, rief Weiß, stieß die Tür auf.
    »Was wirken lassen?«
    »Diese Bilder – in Ihrem Unterbewusstsein …«
    »Aber da hab ich sie gar nicht! Ich hab sie im Bewusstsein,die Geräusche auch! Bitte, Herr Inspektor, lassen Sie mich

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