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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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los!«
    »Chefinspektor. Nein, ich lasse Sie nicht los, das kann ich nicht verantworten! Sie schauen jetzt noch einmal in den Trichter und visualisieren das Geschehen!«
    »Was mach ich?«
    »Sie stellen sich alles noch einmal vor – eine Rosskur, ich weiß, aber wirksam, war bei mir genauso, etwas anderes hilft nicht …«
    Ingomar schaute in den leeren Trichter. Die Wände glänzten nass von der Nachspülung mit dem Zweizoll-Wasserschlauch.
    »Sehen Sie es?«, rief Weiß. »Das Blut, so viel Blut! Sehen Sie, wie die Gedärme platzen? Kein schöner Anblick, erinnert an Blutwurst, ich kann seither keine Blutwurst mehr essen, früher hab ich das gern gehabt, ab und zu, aber jetzt nicht mehr, das kann niemand verlangen …«
    Ingomar sah und hörte alles noch einmal. Dann war es vorbei. Alles war vorbei. Nach langer Zeit wandte er den Blick von der Tiefe ab lehnte sich an den Trichter.
    »Es wirkt«, sagte er, »es wirkt tatsächlich. Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, ich hab es … überwunden.«
    »Sicher haben Sie das. Es ist die momentane psychische Überlastung, alles noch einmal durchleben wirkt – das ist wie bei missglückten Sprüngen im Sport: sofort wieder versuchen, sonst baut sich das auf und wird unüberwindbar.«
    »Danke. Aber warum haben Sie das gemacht?«
    »Ich brauche Sie doch, Herr Kranz. Die Kameraden sind alle so verflucht schwer. Ich kann nicht die Frau damit belasten …«
    »Es gibt noch mehr?!«
    »Kommen Sie, stellen Sie sich nicht so an! Sie wissen genau,dass es noch mehr gibt. Leider. Oder glauben Sie tatsächlich, mit Herrn Karasek sind alle Übel aus unserem Gemeinwesen verschwunden?«
    Nach einer Weile sagte Ingomar: »Wir müssen eine Liste machen.«
    »Das müssen wir.«
    Sie gingen zum Auto. Beim Hinausfahren winkte Weiß einer Frau zu, die in der Zufahrt stand.
    »Das ist sie«, sagte Weiß, bevor Ingomar etwas fragen konnte.
    »Dann bin ich ja beruhigt. Weniger beruhigt bin ich wegen der Kamera in dieser … Hütte. Anton Galba wird nicht begeistert sein, wenn er statt einem jetzt sogar zwei Personen identifizieren kann …« Er begann zu lachen. Es ging ihm besser, ein Hochgefühl begann Besitz von Ingomar Kranz zu ergreifen. Er hatte etwas Notwendiges getan, das schon vor langer Zeit hätte getan werden sollen. Diesen Wicht zu beseitigen. Verschwinden zu lassen. Er atmete jetzt freier, er spürte die Veränderung seines Lebens. Jetzt schon, noch im Auto. Die Einzelheiten waren grausig, keine Frage, aber man konnte es mit einer lebensrettenden Operation vergleichen. So ein Eingriff ist nie angenehm. Es kommt darauf an, sich zu trauen, das ist alles. Wer sich traut, lebt, wer sich nicht traut, siecht dahin. Nie mehr würde er diesen Blick auf die Rückseite des Rathauses werfen, nie mehr würde ihm Oskar Karasek durch seine bloße Existenz den Tag verderben – durch den schieren Beweis seiner Existenz; durch Herumgehen vor seinem Bürofenster. Und apropos Bürofenster: Sollte sich dort ein ähnlich korruptes Arschloch etablieren, wie der vermanschte Karasek eines gewesen war – nun denn, wo der eine hineinpasste, war noch mehr Platz. Sie hatten einen Trichter, einen furchtbaren, wundervollen Trichter. Einen unersättlichen …
    Anton Galba fiel ihm wieder ein. Sein Mut sank. Galba, ahnte er, war ein Problem. Der hatte wieder einen Film. Und am Trichter mussten sie kiloweise DNS-Spuren hinterlassen haben, was heißt am Trichter: im Auto auch. In seinem Auto, in dem sie nun durch einen kühlen Herbstabend nach Hause fuhren.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Weiß, »das mit Galba ist eine … Wie soll ich sagen … Er ist ein Schulfreund, wir sind in dieselbe Klasse gegangen, acht Jahre lang, das schafft eine Verbindung, die …«
    »Sie stehen sich nahe.«
    »Nein, eben nicht. Mit Nahestehen ist das nicht zu fassen. Es ist näher als nahe, etwas Existentielles, ich … ich kann das nicht tun …«
    »Was tun?«
    »Ihn hineinwerfen.«
    Ingomar bremste, blieb stehen.
    »Herr Weiß, ich hatte doch mit keiner Silbe angedeutet … Er hat doch gar nichts getan!«
    Schulterzucken bei Weiß und bekümmerte Miene. »Verräterei«, sagte er mit leiser Stimme, »das schon … Es wäre ein femewrogiger Punkt. Aber das kann niemand von mir verlangen. Außerdem hat er mich erst auf die Sache gebracht.« Und Nathanael Weiß erzählte dem Fahrer, wie alles gekommen war, wie es gekommen war. Die Erzählung zog sich, so dass die beiden schon am Hochhaus angekommen waren, als

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