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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Weiß erst bei den Schändlichkeiten des Ludwig Stadler verweilte, auf deren Schilderung er wegen persönlicher Betroffenheit mehr Zeit verwandte als auf die Galba’schen Eskapaden, die der Causa Stadler vorangegangen waren. Es blieb Ingomar nichts übrig, als den Chefinspektor hinaufzubitten, wo man noch einen Brandy nahm. Nach einer weiteren halben Stundewar Weiß in der Gegenwart angelangt. Unter normalen Umständen hätte Ingomar Kranz einen Rekorder mitlaufen lassen. Das war die Art Stoff, von der Journalisten träumen. Eine Sensation. Hochkriminell, gleichzeitig tief menschlich und so weiter, wer das zu einer Geschichte verarbeitete, würde reich werden. Vorausgesetzt, er war nicht selber darin verwickelt. Das aber war bei Ingomar nun leider der Fall; die journalistischen Implikationen hatten jede Bedeutung verloren – er durfte diese Geschichte nicht erzählen, auch niemand anderer durfte sie erzählen. Sonst würden sie alle für viele Jahre in der Haftanstalt Stein verschwinden.
    »Wir hatten vorhin von einer Liste gesprochen«, sagte er in die Pause hinein, die nach der Schilderung des Chefinspektors entstanden war. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Ich für mein Teil kann mir nämlich vorstellen, dass die Sache schon jetzt sehr heikel ist. Es sind – wie viele? – vier Personen verschwunden, das muss doch auffallen …«
    »Nein.«
    »Wie bitte …?«
    »Sie sind nicht nur so verschwunden, sondern spurlos verschwunden. Das ist ein gewaltiger Unterschied, glauben Sie mir. Das Verschwinden selber ist kein Problem. Das tun Tausende, jedes Jahr. Wenn es keine Kinder sind, kräht kein Hahn danach – vorausgesetzt, es tauchen keine Beweise für ein Verbrechen auf. Der schlagendste dieser Beweise ist natürlich die Leiche des oder der Verschwundenen. Oder Teile davon. Dann erst haben wir überhaupt einen richtigen Fall! Wenn unsere Nachforschungen nichts ergeben, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Akten zu schließen.«
    Erst nach einiger Zeit verstand Ingomar, dass Weiß mit dem »wir« die Polizei meinte, das Korps. Er schien keine Mühe zu haben, den Standpunkt zu wechseln.
    »Wir kriegen laufend Abgängigkeitsanzeigen. Oft finden sich die Vermissten wieder ein – gesund und munter. In den meisten Fällen aber nicht. Dann findet man sie, oft Monate, sogar Jahre später. Das steht dann in der Zeitung. Kurze Meldung. Wenn er nicht gefunden wird, steht nichts in der Zeitung. Oder haben Sie je eine Meldung gelesen wie … Der seit vier Jahren vermisste Josef P. ist nach wie vor verschwunden ?«
    »Natürlich nicht, das wäre ja absurd!«
    »Eben. Keine Leiche, keine Spur heißt: kein Problem! Es ist sozusagen kein Griff dran, an dem man die Sache anpacken könnte. Schon klar: Die Angehörigen laufen von Pontius zu Pilatus, die Medien greifen die Sache womöglich auf, da gab es ja Beispiele – aber auf Dauer ist das auch für die nichts. Ein spurlos Verschwundener ist keine Geschichte …«
    »… Ich verstehe, was Sie meinen. Er hat zwar eine Geschichte, aber er ist keine …«
    »So ist das! Die Geschichte, die er hat, können Sie oft durchkauen, aber nicht endlos. Die Sache wird vergessen. – Sie dürfen das Phänomen natürlich nicht … Wie soll ich sagen … überstrapazieren und zu viele Leute auf einen Schlag …«
    »… ein paar Millionen zum Beispiel …«
    »Eben. Glauben Sie mir, von der Zahl, die wir ins Auge fassen, droht keine Gefahr. Es sind ja nur punktuelle, sorgfältig überlegte Eingriffe ins Gefüge der Gesellschaft. Dann geht das glatt. Es darf, wie gesagt, nur nie etwas auftauchen, kein Fetzchen, kein Knöchelchen …«
    »Das war ja das Problem in Jugoslawien« erinnerte sich Ingomar, »diese Obduktionen …«
    »Wenn erst die Forensiker rudelweise durch die Landschaft ziehen und jeden Knochen bis zu den Türkenkriegen zurück ausbuddeln, haben Sie schon verloren – drum ist eingraben eine ganz schlechte Idee, das machen nur Idioten …«
    »Verbrennen?«
    »War im 20. Jahrhundert sehr beliebt, die Rückstandsfrage ist besser gelöst, es bleiben nur die Knochen ohne DNS. Aber Sie brauchen einen Spezialofen. Irgendeinen anderen Ofen kann man sofort vergessen, das geht immer schief … Nein, nein, der Gärturm ist geradezu ideal. So komisch es klingt: Die Ökobiolösung ist die beste!«
    Ingomar begann zu lachen, obwohl er das gar nicht wollte. Dieser Weiß gefiel ihm. Er mochte das nicht, es war aber so. Weiß gefiel ihm. Der redete nicht lang herum, der handelte. Ingomar

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