Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Unten hätte er sich diesen Ausbruch nicht geleistet, keine Chance. Keine Unzurechnungsfähigkeit, nicht einmal schwache Nerven. Wobei die sowieso kein Milderungsgrund waren, das hatte er noch nie gehört – oder doch? Wenn einer beim Umbringen die Nerven wegwarf, hieß es dann nicht Totschlag?
    Er beruhigte sich. Ganz langsam. Was hieß hier Totschlag, gar Mord? Welcher Mord, welcher Totschlag? Wer wurde ermordet oder totgeschlagen? Mathis? Wo war der? Wo war der, bitte?
    Er holte das Stofftaschentuch hervor, das er zusammengefaltet in der linken Hosentasche trug und nie benützte (aus hygienischen Gründen bevorzugte er Papiertaschentücher). Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging über dievielen Stahltreppen hinunter. Helga war allein im Labor. Er winkte ihr zu, deutete auf sein Büro. Er wartete, bis sie die Tür zugemacht hatte, bat sie, sich zu setzen. Sie tat es, lächelte dabei. Arglos, kam ihm vor. Aber vielleicht war sie instruiert worden. (»Verhalten Sie sich ganz normal!«) Als sie nichts sagte, ihn nur voll Erwartung ansah, sagte er: »Was hast du ihm erzählt?«
    »Wem?«
    »Diesem Weiß von der Polizei.«
    »Was soll ich ihm erzählt haben? Nichts. Er hat mich gar nicht gefragt.«
    Darauf war Dipl.-Ing. Galba nicht vorbereitet. Nicht gefragt. Entweder eine besonders fiese Intrige oder … Sonst fiel ihm nichts ein. Wenn sie log, tat sie es sehr geschickt. Er dachte nach. Wenn Weiß ihr die Fotos gezeigt hatte, war Anton Galba verloren. Es konnte ja sein, dass sich auch Helga darauf nicht erkannte, dass sie sich selbst nicht erkannte, weil nur die untere Hälfte ohne jedes Fitzelchen Kleidung abgebildet war – sicher aber würde sie den Hochstand erkennen. Erinnerungen sind situationsbedingt. Wenn sie also die Fotos gesehen hatte, wusste sie, worum es ging. Helga war intelligent. Mit einer dummen Frau hätte er kein sexuelles Verhältnis eingehen können. Wenn sie also jetzt das Verhör durch Weiß abstritt, hatte sie ihn schon ans Messer geliefert.
    Oder aber eben nicht: Sie log nicht, war arglos, war ohne Ahnung und keine Verräterin. Das hieß aber, Weiß hatte sie nicht verhört. Warum? Vielleicht war er nachlässig. Vernachlässigte seine Pflichten. Allerdings nicht total. Irgendwann würde er auftauchen und das Verhör der Helga Sieber nachholen. In diesem Fall könnte man sie präparieren, die Aussagen absprechen, aber dann würde sie fragen, warum das nötig sei, und so weiter … alles Quatsch. Er konnte genausogut in die Stadt fahren und ein volles Geständnis ablegen. Helga würde ihn nicht decken. Und wenn doch, würde sie sich verplappern, dem Druck nicht standhalten, was auch immer. Und wenn sie gelogen hatte, lieferte er sich selber ans Messer. Durch dummes Reden. Er durfte auf keinen Fall, unter keinen Umständen irgendetwas zugeben, was ihn auch nur in Verbindung mit dem Verschwinden des Mathis brachte. Er hatte damit nichts zu tun.
    Das war so weit klar, nur wusste er jetzt nicht, was er sagen sollte. Er wusste nur, was er auf keinen Fall sagen durfte. Sie rettete ihn.
    »Glaubst du denn, er befragt uns noch alle wegen Roland?«
    »Davon gehe ich aus. Dieses Abtauchen ist sehr mysteriös.«
    »Und jetzt sollen wir alle unsere Aussagen … wie sagt man … akkordieren?«
    »Um Himmels willen! So etwas hab ich nie gesagt, das würde die Ermittlungen torpedieren, das dürfen wir nicht tun!« Wie geschraubt wir daherreden, dachte er. Akkordieren, torpedieren. Wir reden zum Fenster hinaus, obwohl das Fenster zu ist und draußen niemand steht. Trotzdem reden wir für eine Öffentlichkeit. Weil es jetzt ein Fall ist. Sicher kommt das Fernsehen. Ich muss ein neues Hemd anziehen. Und eine passende Krawatte. Hilde fragen …
    »Ich hab mir nur gedacht«, sagte er, »es kann ein schlechtes Licht auf den Betrieb werfen, wenn wir einfach so daherreden, was uns grad einfällt. Laborklatsch, solche Sachen. Wir haben hier doch ein gutes Klima, und das soll auch so bleiben. Wenn uns also etwas Wichtiges zum Roland einfällt, sagen wir das der Polizei, aber wir … wie soll ich sagen … wir drängen uns nicht vor und erzählen alle möglichen Sachen, verstehst du?«
    »Ehrlich gesagt, nicht ganz. Der Roland war schon extrem komisch, das weißt du doch …«
    »Ja, ja, aber das ist kein Grund, jetzt, wo er verschwunden ist … das so herauszustreichen, seine Marotten …«
    »… und die radikalen Ansichten?«
    »Da sehen wir alle nicht gut aus, wenn wir das so betonen

Weitere Kostenlose Bücher