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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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erkennt nicht einmal die Haarfarbe.«
    Weiß sagte nichts.
    »Weil alles grün ist«, sagte Galba, »hellgrün, dunkelgrün …«
    »Ja«, sagte Weiß, »alles ist grün. Also du bist das nicht?«
    »Nein, bedaure.«
    »Dann bist du mit diesen Fotos auch nicht erpresst worden?«
    »Nein.«
    »Und hast den miesen Erpresser, diesen Mathis, auch nicht in den Fleischwolf geschmissen und dann in den Gärturm gepumpt?«
    »Nein.«
    »Alles hängt einfach davon ab, ob du das auf den Fotos bist oder nicht. Hab ich recht?«
    »So kannst du das sicher darstellen … kriminologisch.«
    Weiß streckte die Hand aus, Galba händigte ihm die Bilder wieder aus.
    »Es gibt erhebliche Indizien«, sagte Weiß, »dass Mathis einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Diese Fotos waren im gelöschten Teil der Festplatte. Hätten wir sie unter den vielen anderen Fotos gefunden, wäre das weit weniger auffällig gewesen, oder? Dann hätte der gute Mathis auf seinen nächtlichen Wildbeobachtungsexkursionen halt aus Zufall ein etwas anderes Wild vor die Kamera gekriegt. Warum nicht? Aber dass ausgerechnet diese Pornofotos weg sind und die Kamera – das war ziemlich dumm vom Täter.«
    »Ja, ziemlich dumm.« Galbas Stimme war kaum zu hören.
    »Was hast du gesagt?« Weiß wartete aber keine Antwort ab. »Vor allem, weil die Bilder so schlecht sind, das verstehe ich nicht. Ich hätte diesen Mathis einfach ausgelacht: Das bin ich nicht, basta! Und dann angezeigt. Erpressung bleibt strafbar, auch wenn das Druckmittel ungeeignet ist.«
    Er schwieg.
    Auch Galba sagte nichts. Dann packte Weiß die Fotos wieder in die Tasche. Er machte, so kam es Galba vor, einen unglücklichenEindruck. Dann sagte er: »Es wäre nicht nötig gewesen, das Arschloch umzubringen.«
    »Vielleicht war es ja ein Unfall«, sagte Galba. Die Stimme klang dünn. Weiß schien über die Bemerkung nachzudenken.
    »Ein Unfall? Du meinst in dem Sinne: Zwischen Erpresser und Erpresstem kommt es zum Streit, zum Handgemenge?«
    »Wär’ doch möglich. Der eine stürzt …«
    »… und bricht sich das Genick. Könnte sein. Der Überlebende – nennen wir ihn einfach so – verliert die Nerven und lässt die Leiche verschwinden. Ja, ja, so könnte das gewesen sein. Das nennen wir eine brauchbare Hypothese des Tathergangs.«
    »Bin ich verdächtig?«
    »Bei uns heißt es immer: Bis auf den Papst und den Herrn Bundespräsidenten sind alle verdächtig!« Er lachte laut auf. »Aber ich muss mich ja nicht auf dein Wort verlassen, Gott sei Dank! Ich frag einfach die Frau. Es sind ja zwei auf den Fotos. Sie wird’s wissen, oder? – Oder nicht?« Wieder lachte er laut heraus, als sei diese Bemerkung weiß Gott wie komisch.
    »Du kennst sie doch gar nicht.« Wieder war Galbas Stimme rauh. Er räusperte sich. »Ich meine, von ihr sieht man keine individuellen Teile …«
    »Nein, sieht man nicht. Ist auch nicht nötig. Wir werden einfach ermitteln. Im nächsten Umfeld des Opfers …«
    »Mathis hatte keine Verwandten, soviel ich weiß …«
    »Aber Kollegen hatte er schon, oder? Auch wenn ihn einer von denen in die Fleischmühle geschmissen hat, waren es seine Kollegen. Wie sonst soll man sagen?«
    Galba antwortete nicht. Nach einer Weile sagte Weiß: »Wir sind hier fertig. Ich melde mich dann.« Er ging über die Verbindungsbrücke zum Liftturm und verschwand. Galba bliebam Geländer stehen und schaute auf den Hof hinunter. Chefinspektor Weiß, sein Schulkollege, erschien am Fuß des Turms und ging auf den Parkplatz. Das Laborgebäude betrat er nicht mehr. Um etwa Helga Sieber zu befragen. »Das hat er längst gemacht«, sagte Galba. Er sprach laut. Selbstgespräche. Das ist neu. »Vielleicht nützlich«, sprach er weiter. »Ein Symptom für beginnende … was nur … Schizophrenie. Das wär günstig bei der Verhandlung. Verrückt, nicht zurechnungsfähig.« Dann begann er zu weinen. Ganz leise, aber mit vielen Tränen. Er spürte, wie sie über die Wangen kollerten. Sein Leben war vorbei. Er würde diesen Ort verlassen und nie wieder betreten. Zwar: Lebenslänglich war heutzutage nicht mehr wirklich lebenslänglich. Aber man konnte nicht erwarten, dass die Stadt Dornbirn ihm zwanzig Jahre lang die Stelle freihielt, oder? Nein, konnte man nicht. Er begann zu lachen. Nach einer langen Weile hörte er auf. Nein, niemand hatte ihn gehört. Er war zu hoch oben. Der Föhn trieb weiße Walzen über den Himmel und trocknete seine Tränen. Und er war auch nicht verrückt, nicht einmal annähernd.

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