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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Frau ging er gern auf den Markt, setzte sich beim Spiegel unter einen Sonnenschirm, bestellte Kaffee und ein Butterkipferl.
    Er hatte eben zwei Bissen davon gegessen, als sich Nathanael Weiß an den Tisch setzte.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte der ohne Einleitungsgruß. Galba kaute weiter. Wie eine Kuh, fiel ihm ein. Die kauen wahrscheinlich auch noch bis eine Stunde vor der Schlachtung. In seinem Magen hatte sich trotz des heißen Kaffees ein Eisklotz gebildet, dessen Kälte in die unteren Extremitäten und nach oben in die Speiseröhre ausstrahlte. Galba staunte, dass er den Kipferlbissen ohne Schwierigkeiten schlucken konnte.
    »Ich muss mit dir reden« wiederholte Weiß. »Hast du was zu schreiben?« Galba wurde einer Antwort enthoben, weil die Bedienung an den Tisch trat. Weiß bestellte Kaffee extra , eineSpezialität des Hauses Spiegel. Das extra war ein Schuss Cognac. Weiß betrachtete Galba mit forschendem Blick, machte dann die Geste des Schreibens auf einem unsichtbaren Blatt Papier. So, wie er die Geste machte, sah es eher nach Kritzeln aus, verstohlene Bewegung und winzige Schrift, als sei das Aufschreiben verboten. In der Tat ist es auch verboten, dachte Galba und griff in die Innentasche des Mantels, zog einen halb aufgebrauchten Block Essensmarken des Restaurants Sutterlüty heraus – ganz egal, was es ist, dachte er weiter, es wird sich herausstellen, dass es etwas Illegales ist, und ich werde da hineingezogen. Jetzt, in diesem Augenblick. Er hätte Widerstand leisten müssen und zum Beispiel sagen, er habe nichts bei sich, gar nichts, kein Fitzelchen Papier und kein Schreibgerät irgendwelcher Art, keinen Kuli, keinen noch so kurzen Bleistiftstummel; nicht, dass der Widerstand viel geändert hätte, aber er hätte das tun können, um seine Autonomie wenn nicht zu behaupten, so doch darauf hinzuweisen, auf die Autonomie, wenigstens das. Aber die Weigerung fiel ihm erst ein, als er den Block schon auf den Tisch gelegt hatte. Es gab an dessen Grund eine leere Marke, ein Stützpapier wie ein Buchrücken, darauf konnte man schreiben. Den Kuli steuerte Weiß bei. Dann diktierte er den Namen und die Adresse.
    »Wie ihr wünscht, Don Nathanael«, sagte Galba mit leiser Stimme, »wann soll es geschehen?« Weiß lachte so laut auf, dass er Blicke von Nachbartischen auf sich zog.
    »Don Nathanael, das ist gut! – Nein, nein, du rufst diesen Herrn einfach an und bestellst ihn für heute Abend um zehn in die ARA …«
    »… Ich bestelle ihn? Einfach so?«
    »Ja, du sagst, er soll unbedingt dorthin kommen, es gehe darum, große Unannehmlichkeiten von ihm abzuwenden,wobei gewisse Fotos eine Rolle spielen. Er weiß dann schon … Und er soll allein kommen.«
    »Das ist alles?«
    »Nicht ganz. Du selber stellst dich heute Abend in den Wald neben die Zufahrt und überprüfst das Alleinkommen. Wenn ihm ein Auto folgt, rufst du mich an.« Er gab ihm eine Handynummer.
    »Und was geschieht, wenn er dann dort ist?«
    »Eine Unterredung. Aber das sind private Dinge, die dich nicht zu interessieren brauchen. Du kannst dann nach Hause gehen. Oder mach einen nächtlichen Spaziergang. Zu einem Hochstand zum Beispiel …«
    Galba nickte, sagte nichts mehr. Er steckte den Block ein und gab Weiß den Kuli zurück. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Weiß lehnte sich zurück, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Du rufst ihn möglichst bald an. Am besten gleich jetzt. Von der Post aus.« Weiß winkte der Kellnerin und zahlte für beide.
    »Und dann?«, fragte Galba. Weiß war schon aufgestanden.
    »Dann ist gar nichts mehr. Für dich, meine ich. Du bist raus.«
    Das ist eine Lüge, dachte Galba. Fast hätte er es ausgesprochen. Eine gottverdammte Lüge. Weiß winkte zum Abschied und verschwand in der Menge der Marktbesucher. Galba nahm seine Plastiktaschen und trottete in die entgegengesetzte Richtung zur Sparkasse, wo er das Auto in der Tiefgarage abgestellt hatte. Er verstaute die Einkäufe und ging zu Fuß die Bahnhofstraße dreihundert Meter zur Post hinunter. Er dachte nicht nach. Er rief die Nummer an. Es war ganz einfach. Keine Sekretärin, keine Mailbox. Der Mann meldete sich mit seinem Namen, Galba richtete aus, was ihm aufgetragenworden war, vergewisserte sich, dass der andere, von dem keine Äußerungen der Empörung kamen, auch keine Fragen, alles verstanden hatte, ließ es sich wiederholen und legte auf. Ich kann das, dachte er. Ich bin wirklich gut darin. Antonio Galba, die rechte Hand des padrone .

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