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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Gefürchtet. Zuverlässig. Gefürchtet eben wegen seiner Zuverlässigkeit … Er verdrängte die kindischen Gedanken, das brachte nichts. Er verließ die Post, atmete tief durch. Es ging auf Mittag, es wurde warm, juniwarm, er zog das Jackett aus, wanderte zur Sparkasse zurück, betrachtete ein paar Auslagen.
    Ich habe keine Wahl. Ich habe keine Wahl. Er sagte das vor sich hin, so leise, dass niemand aufmerksam wurde. Auch, wenn das nun Beihilfe ist, Beihilfe zu … wozu auch immer (er schob das Objekt der Beihilfe in den hintersten Winkel des Hinterkopfes, daran wollte er jetzt nicht denken), so handelte er doch nicht aus freiem Willen, sondern als Opfer einer Erpressung, also war dieser Teil seines Handelns doch straffrei zu hundert Prozent, oder nicht? Er kannte sich in juristischen Dingen nicht aus, aber dass es sich um Beihilfe handelte, war ihm klar und konnte ihm aus seiner Handlungsweise auch nachgewiesen werden, nämlich wie? Aus seinem Schweigen. Er hätte Weiß fragen müssen: Warum rufst du nicht selber an? Dann hätte Weiß etwas antworten müssen, eine blödsinnige Lügengeschichte erzählen oder die Wahrheit (damit der Anruf nicht mit mir in Verbindung gebracht werden kann) oder die andere Wahrheit (das geht dich einen Dreck an!) – aber Galba hatte nichts gefragt, keinen Ton gesagt, weil ihm eben das Umfeld der Ungesetzlichkeit dieses Anrufs von vornherein klar gewesen ist, Herr Rat! Ja, so würde der Staatsanwalt argumentieren. – Auf Befragen würde er das auch zugeben und seinerseits die Erpressung ins Spiel bringen: Was hätte er denn tun sollen? Das musste jeder vernünftige Mensch einsehen.Er war in diese Sache ohne eigenes Verschulden hineingeschlittert. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Etwa wie ein Skifahrer bei einem Sturz. Wer auf der steilen Piste fällt, bleibt nicht liegen, sondern schlittert eben noch viele Meter weiter hinunter, wobei alles Mögliche passiert; da kann er aber nichts mehr dafür, das ist die Physik der Verhältnisse, Naturgesetz, jawohl! Wer will gegen das Naturgesetz argumentieren?
    Als er bei der Sparkasse ankam, begann die Sirene auf dem Rathausdach aufzuheulen. Zwölf Uhr mittags. Jeden Samstag wurde sie auf diese Weise getestet. Die Dornbirner fanden nichts dabei, aber für Touristen war die Übung gewöhnungsbedürftig; am Anfang erschraken sie, weil sie glaubten, es sei etwas Schreckliches passiert, vielleicht der Atomkrieg, an den die Älteren immer noch glaubten.
    Die Sirene ist ein Zeichen, dass Gefahr droht. Manchmal ertönt sie aber zu spät, und die Welt, vor deren Zusammenbruch sie warnt, ist schon zusammengebrochen.
    Sie wurde leiser, als Anton Galba die schmale Betontreppe zur Tiefgarage der Sparkasse hinabstieg. Anton Galba ersann wunderliche juristische Konstruktionen, die ihm helfen sollten, sich aus der Lage herauszuwinden, in der er sich befand. Später aber erinnerte er sich an die Sirene vom Dach des Rathauses und dass ihr Heulen wohl eingesetzt hatte, aber erst, als seine Welt schon zusammengebrochen war.

    *

    Um zehn war es auf dem Gelände der ARA noch recht hell. Dies war der Grund, warum Ludwig Stadler der merkwürdigen Einladung, sich ebendort zu ebendieser Zeit einzufinden, Folge leistete. Der Vorschlag, sich bei völliger Dunkelheit zutreffen, hätte von jemand Skrupellosem stammen können, der Gewalt als Alltäglichkeit einkalkulierte, wenn seinen Wünschen nicht entsprochen wurde. Wer aber die Dämmerung als Zeitpunkt vorschlug, der hielt die Mitte zwischen einem reellen Geschäft, das im vollen Licht des Tages abgewickelt werden konnte, und dem Dunkel der Nacht, das schlimme Taten verdecken sollte; also handelte es sich um eine zwar illegale Sache, aber nicht um ein Kapitalverbrechen. Erpresser, nicht Mörder; ein Treffen im Zeichen der Feigheit. So dachte Ludwig Stadler, und Nathanael Weiß wiederum hatte ihn so eingeschätzt und angenommen, dass er so denken würde. Er kannte Stadler von verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen, bei einem solchen Anlass, einem Faschingsball, hatte Adele den Bauunternehmer auch kennengelernt, unter den Augen des Chefinspektors, der wenig auf seine Frau achtete und sich den ganzen Abend nur überlegte, unter welchem Vorwand er den Besuch dieser überflüssigen und idiotischen Zusammenkunft abkürzen könnte. Er bemerkte nicht, wie Stadler mit dem hier nicht häufigen, aber doch vorkommenden alpinen Skilehrercharme seiner Adele den Hof machte. Sie lachte gern, und Stadler brachte sie

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