Alles Fleisch ist Gras
Nathanael …
Ludwig Stadlers Mittelfingerknochen der rechten Hand zerbrachen mit einem knirschenden Geräusch, das an das Brechen dürrer, dünner Äste erinnerte, es klang aber gedämpft, als seien die Äste vor dem Zerbrechen in eine Decke eingewickelt worden. Schuld an der Verletzung war der schwere Metallrahmen des Tores, das Nathanael Weiß in einer einzigen, fließenden Bewegung mit der einen Hand zugestoßen, mit der anderen Hand Stadlers Arm in der richtigen Position fixiert hatte; das ging sehr schnell, so dass dieses Fixieren von Stadler nicht als Halten wahrgenommen wurde, sondern als freundliche Geste, ein südländisches Arm-Halten.
Stadlers Schrei klang nicht gedämpft, hallte laut durch den Sommerabend, Nathanael Weiß war das aber egal. Er ging methodisch vor. Stadler hielt die verletzte Rechte mit der Linken, Weiß trat ihm mit großer Wucht in die Weichteile, Stadler krümmte sich, riss den Mund weiß auf, es kam aber nichts mehr heraus, kein einziger Ton. Nathanael Weiß wechselte den Standort, näherte sich dem sich zusammengekrümmt auf dem Boden Windenden von der Kopfseite, fand auch gleich die Pistole und den Totschläger und steckte beides ein. Dann riss er den rechten Arm Stadlers hoch und drehte ihn so weit nach hinten, bis das merkwürdig flüssige, fast wie ein Schmatzen tönende Geräusch des Auskegelns den Erfolg seiner Bemühung anzeigte. Er riss ihn an diesem Arm hoch und schleifte ihn über den Platz, um das Hauptgebäude herum zu der Blechhütte am Fuße des Gärturms. Die Tür stand offen, Stadler, der zusammengebrochen war, kroch auf allen vieren hinein, von Weiß mit Fußtritten angetrieben, Weiß folgte, zog die Tür hinter sich zu.
»Ich hab dir damals gesagt, pass gut auf sie auf«, sagte er. Die Stimme klang leise; nicht lauter als das Wimmern Stadlers. »Das hab ich doch gesagt, oder?« Die Frage war rhetorisch, Nathanael Weiß erwartete keine Antwort.
»Du bist ein Schädling, weißt du das?« Auch dazu konnte sich Stadler nicht äußern.
»Zieh die Jacke aus«, sagte Weiß. Dabei musste er ihm helfen. Die Jacke wurde noch gebraucht.
Das Dröhnen des Elektromotors erfüllte die Nacht. Sonst war nichts zu hören, kein anderes Geräusch irgendeiner Art, obwohl ein solches Geräusch ohne weiteres aus der Blechhütte gedrungen wäre, wenn es ein solches Geräusch gegeben hätte; der E-Motor war laut, aber nicht so laut, dass er alles übertönt hätte.
Nathanael Weiß war kein grausamer Mann. Nur ein sehr konsequenter. Als er die Hütte verließ, schaltete sich die automatische Beleuchtung ein. Quer über den Platz kam aus dem Dunkel des Waldes Dipl.-Ing. Anton Galba, der Betriebsleiter. Er ging langsam, als lege er keinen Wert darauf, schnell an Ort und Stelle zu sein. Das war auch so, er wäre lieber an jedem anderen Ort gewesen als jetzt an seiner Arbeitsstätte. Als er den Schatten des Gärturms erreicht hatte, erkannte er den Chefinspektor neben der Blechhütte. Weiß grüßte nicht, Galba grüßte auch nicht.
Auf dem Parkplatz stand der Audi, der nicht hierhergehörte, das Auto mit der Nummer DO 224 EL, die er vor wenigen Minuten per Handy durchgegeben hatte – dass ein Wagen mit ebendieser Nummer auf die Abwasserreinigungsanlage zufahre; und so weit war alles in Ordnung, gehorchte den Gesetzen der Logik, der Wagen stand hier, wo sollte er sonst sein? Die Zufahrt zur ARA war eine Sackgasse, es gab keine Abzweigungen. Also musste auch der Fahrer hier sein, wenn ernicht zu Fuß weitergegangen ist, zu Fuß in den Wald hinein, um nie mehr zurückzukehren. Das wäre schön … Galba stellte es sich einen Augenblick lang vor, wie der ihm unbekannte Fahrer aus dem Auto stieg und schnurstracks im Wald verschwand, ohne der Anlage auch nur einen Blick zu gönnen … Aber vor ihm stand nicht der unbekannte Audifahrer, sondern der wohlbekannte Chefinspektor Weiß, sein Schulkamerad. Der hatte sein Auto woanders geparkt; er war in Zivil und hatte etwas Textiles über dem Arm hängen, eine Jacke vielleicht, und er redete von Dingen, die keine Verbindung zu der Situation hatten, keine Verbindung zur ARA, zum Audi, zum unbekannten Fahrer und keine zu Anton Galba …
Das Reden von Dingen, die nichts mit der gegenwärtigen Situation zu tun hatten und die Anton Galba sofort wieder vergaß, hatte den Vorteil, dass die Blechhütte neben dem Gärturm 1 aus seinem Bewusstsein verschwand. Mit allem, was in dieser Hütte eingebaut und passiert war.
*
Sie stand keine dreißig Meter
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