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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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auf alle anderen?«
    »Die Polizei ist der Spiegel der Gesellschaft.«
    Galba wurde es unbehaglich. Was war denn das für ein Blödsinn?
    »Wie auch immer«, sagte er, »es war nicht das, was ich erwartet hatte …«
    »Dann fühlst du dich nicht besser?«
    »Nein …«
    »Du wirst lachen, aber genau das erzählen mir meine Beamten auch sehr oft nach einer solchen Kur!« Galba war weit davon entfernt, zu lachen.
    »Echt?«, fragte er.
    »Ja! Kuren werden überschätzt …«
    »Und was machst du dann? Mit diesen … wo es nichts genützt hat, meine ich.«
    »Ich schick’ sie in die Frühpension, was hast du denn gedacht? Mit vollen Bezügen!« Er begann zu lachen. Jetzt musste auch Anton Galba lachen, der die Bemerkung nicht lustig fand und nicht lachen wollte. Chefinspektor Weiß hatte etwas Mitreißendes an sich …
    »Sie machen halt weiter, was sonst«, sagte der Chefinspektor. »Ein bisschen besser geworden ist es eh bei den meisten. Sie fretten sich so durch. Und gehen ein Jahr später wieder auf Kur.« Nach einer Weile sagte er: »Merkwürdig ist nur: Wenn sie eine richtige Aufgabe gestellt kriegen – vom Leben, meine ich, nicht von mir –, dann verschwinden all die Symptome wie durch Zauberhand.«
    »Oje!«, sagte Anton Galba.
    »Ja, oje! Schlimme Dinge, die man sich nicht wünscht, du hast es schon begriffen. Schwere Krankheit eines Lebenspartners, Unfall, Tod. Richtig harte Sachen … Aber es wirkt.«
    »Das empfiehlst du jetzt mir? Das Provozieren einer … einer Lebenskrise?«
    »Ach was, Lebenskrise, du drückst dich auch manchmal geschwollen aus. Es geht nach meiner Erfahrung nicht darum, wie hart das Ereignis ist, sondern dass die Leute gezwungen sind, zu reagieren, etwas zu tun, verstehst du?«
    »Nein.«
    Sie hatten sich durch ein Grauerlengebüsch gekämpft und standen am Steilufer eines Grabens, der zum Hinüberspringen zu breit war.
    »Es geht nicht weiter«, sagte Anton Galba.
    »Eben. Es geht nicht weiter, das mein’ ich ja! Natürlich reagieren wir alle auf Herausforderungen, jeden Tag; aber jeden Tag sind das dieselben Herausforderungen, deshalb sind auch die Reaktionen dieselben. Das ermüdet, verstehst du, das macht die Leute krank, das führt zum Burn-out – nicht die Überforderung, sondern eine Art Unterforderung …«
    »Aha. Ich wollte sagen: Hier geht’s nicht weiter …«
    »Das ist ein schönes Beispiel. Man wandert so dahin, jeden Tag derselbe Trott, plötzlich steht man vor einem Graben, eine neue Situation, was jetzt? Die alten Muster greifen nicht, wir können nicht einfach weitergehen …«
    »Dann drehen wir halt um.«
    »Im Leben kann man nicht umdrehen. Wir müssen hinüber. Alle Kräfte anspannen, Kräfte, von denen wir nicht einmal gewusst haben, dass wir über sie verfügen!«
    »Was hast du vor?«
    »Wir springen«, sagte Chefinspektor Weiß und sprang. Er landete zwanzig Zentimeter vor dem anderen Ufer im Wasser.Es ging ihm bis über die Knie. Er lachte, drehte sich um. »Na los! Komm schon!«
    »Ich hab nicht deine Kondition. Wenn du schon nicht rüberkommst …«
    »Wieso? Ich bin doch drüben!« Er stand immer noch im Bach, das Wasser gurgelte ihm um die Oberschenkel.
    »Aber du bist ganz nass …«
    »Ich bin drüben, oder …?«
    »… Du hast es nicht aufs Trockene geschafft.«
    »Darum geht’s doch gar nicht.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    Vielleicht hatte Weiß recht. Vielleicht ging es nicht darum. Es aufs Trockene zu schaffen. Nur darum, rüberzukommen. Irgendwie. Scheiß drauf. Er sprang.
    Anton Galba landete neben Nathanael Weiß und durchnässte mit seinem Aufprall dessen obere Hälfte; seine eigene obere Körperhälfte bekam auch mehr ab, als er angenommen hatte. Trocken waren sie beide nur vom Brustbein aufwärts. Sie lachten, arbeiteten sich aus dem Schlamm des Bachbetts heraus aufs Ufer, setzten sich hin.
    »Das hat Spaß gemacht«, sagte Galba. Es ging ihm besser, ja doch, es ging ihm deutlich besser als vor dem Sprung.
    »Das stimmt, aber darauf kommt es nicht an«, sagte Chefinspektor Weiß. »Nicht alle neuen Dinge, die wir tun müssen, machen Spaß. Wesentlich ist, dass sie neu sind und wir am Anfang glauben, sie nicht tun zu können. Das ist entscheidend. Wir müssen glauben, dass wir sie nicht tun können, dass es unsere Kräfte übersteigt, unsere Möglichkeiten, was weiß ich … Wenn wir nicht das anscheinend Unmögliche wagen, kommen wir nicht aus dem alten Trott.«
    »Was schlägst du also vor?« Anton Galba ließ sich auf dieSchräge der

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