Alles Fleisch ist Gras
und trostloses, weil endgültiges Nein . So aber, mit diesem Umstandswort drin, blieb nicht nur Hoffnung, sondern Gewissheit des heraufdämmernden Heils, denn nach dem Vorlauf kam das Hauptstück, die beiden hingen logisch zusammen. Man verwendet dieses Wort nicht, wenn man an dem Kommen dieses Hauptstücks den geringsten Zweifel hegt. Es würde also alles wieder so werden, wie es gewesen war, bevor Ludwig Stadler seine böse Präsenz in ihre Ehe gedrängt hatte. Stadler war weg und würde wegbleiben. Er hatte keine Veranlassung, an ihn zu denken, bis zum vergeblichen Kontaktversuch mit Anton Galba. Zwar würde das niemand glauben, aber Chefinspektor Weiß hatte Galba als Schulfreund angerufen, um zu melden, wie es ihm ging, von der erfolgreich absolvierten Kur zu berichten – und nicht, um trübe Erinnerungen zu erwecken,sein Herz auszuschütten und so weiter: also nicht wegen der Blechhütte am Fuß des Gärturms und was darin passiert oder nicht passiert war. Chefinspektor Weiß war fähig, sich selber mit so viel Distanz zu betrachten, dass er sich auch vorstellen konnte, wie diese Äußerung bei einem ganz Außenstehenden ankommen würde. Buchstäblich niemand in ganz Dornbirn würde ihm das glauben. Würde ihm glauben, dass er die Blechhütte vergessen hatte. Nicht verdrängt, sondern vergessen.
Als Galba nicht da war, als er von der Kur erfuhr, die sein Schulfreund unternahm, fiel ihm die Hütte mit Inhalt wieder ein – weil natürlich Galba nicht mit einem so selektiven Erinnerungsvermögen gesegnet war. Galba war auf Kur, weil er die Sache nicht verkraftete, so war das. Chefinspektor Weiß war ihm deshalb nicht gram, empfand keinen Augenblick Verachtung oder etwas auch nur entfernt Verwandtes; das kam vor, dass fähige Leute mit ganz bestimmten Dingen, die anderen keine Probleme machten, psychisch nicht fertigwurden, das gab es überall, auch bei der Polizei, wo man sich aber nicht wie anderswo darüber hinweglügen konnte, sondern diese Unterschiede akzeptieren und taktisch bewältigen musste. Die Menschen reagierten auf dieselben Herausforderungen und Probleme verschieden, weil sie einfach verschieden waren ; jeder normale Dienst bewies diesen Satz mehrmals am Tage und in der Nacht. Alle hatten ihre Schwachstellen, auch die Polizisten. Manche konnten mit Menschen besser umgehen als andere. Die einen vermochten eine besoffene Auseinandersetzung in einem Wirtshaus durch ihre bloße Anwesenheit zu schlichten, die anderen ließen die Sache eskalieren, wenn sie nur den Raum betraten, ohne noch ein einziges Wort gesprochen zu haben. Wäre man nicht notorisch unterbesetzt gewesen, hätte man die Leute besser einteilen können und zumBeispiel nicht den Inspektor Burtscher zu einer Schlägerei geschickt, der etwas an sich hatte, das auch schmächtige Gelegenheitstrinker auf irgendeine verflixte Weise zum Widerstand gegen die Staatsgewalt provozierte.
Die Tatsache, dass Galba ausließ , wie sie das intern nannten, bedeutete ein Problem für Chefinspektor Weiß. Nichts Unlösbares, das nicht. Aber er musste Galba im Auge behalten, das hieß, ihm zureden . (Auch ein interner Spezialausdruck.) Zureden war in diesem Fall schwierig, weil er hier an keinen Korpsgeist appellieren konnte. Und weil die Zivilisten alle so ungeheure Individualisten waren und sich für den Mittelpunkt der Welt hielten. Wie auch immer: Mit Galba kam eine Aufgabe auf ihn zu.
Chefinspektor Weiß war später überzeugt, dass ihm das auch gelungen wäre – er hätte den Anton über die Sache hinweggebracht, ganz sicher. Es hätte weiter nichts passieren müssen. Sie hätten ihr Leben weitergelebt, der Galba das seine, er selbst das seine, sie hätten sich auf die verdiente Pension zubewegt. Ohne besondere Vorkommnisse. Und sie wären, auch da war er sich sicher, so glücklich gewesen, wie ihnen das von ihrer Konstitution her überhaupt möglich war, trotz Blechhütte. Aber so hat es halt nicht sein sollen.
Chefinspektor Weiß las keine Zeitung, aus einem bestimmten Grund … Nur manchmal war er zu dieser Tätigkeit gezwungen, weil ihm Schoder auf einem seiner Rundgänge höchstpersönlich die Tageszeitung vorbeibrachte und ihn auf einen Artikel hinwies. Er erwartete dann nicht nur, dass der Artikel gelesen, sondern auch, dass später dazu eine Meinung abgesondert würde; und nicht im Sinne von prima oder beschissenes Geschreibsel , sondern mit Hintergrundanalyse. Es kam also nicht darauf an, das Ding zu lesen, das hatten die meisten Kollegen
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