Alles Fleisch ist Gras
noch viel besser auskam, folgte unmittelbar; er fragte sie dann nach Mathis, wie der denn so sei, komisch, sagte sie, ein bisschen komisch, aber gutmütig. Das Thema wurde nicht vertieft.
Auf dem Rückweg sprachen sie nichts mehr miteinander. Alles war gesagt und getan, sie liefen Hand in Hand durch die Dunkelheit zur Anlage zurück, eingesponnen in den warmen und weichen Kokon wechselseitiger Beglückung. An Roland Mathis dachten sie nicht und hätten auch nicht an ihn gedacht, wenn alles, wie es nun ging, hundert Jahre weitergegangen wäre; und doch würden sie schon einen Tag später damit anfangen, intensiv und oft an Roland Mathis zu denken, was umso erstaunlicher war, als weder Helga Sieber noch Anton Galba je einen Blick in die Seele des Roland Mathis getan hatten, so dass ihnen fast alles, was den bewegte, unbekannt blieb.
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Die Abwasserreinigungsanlage Dornbirn erstreckte sich über sieben Hektar und umfasste eine mechanische, eine biologische und eine chemische Reinigungsstufe. Zwei Vorklärbecken (je 3000 Kubikmeter), zwei Belüftungsbecken (je 16000 Kubikmeter), vier Nachklärbecken (je 5400 Kubikmeter) und zwei Sedimentationsbecken (ebenfalls je 5400 Kubikmeter), zwei Faultürme (je 5000 Kubikmeter), einen Gasometer mit 5000 Kubikmeter und diverse Zusatzbauten und -einrichtungen, die höchst wichtige Funktionen erfüllten, aber auf einem Luftbild der Anlage gegen die riesigen Klärbecken wie architektonische Kinkerlitzchen wirkten. Die Anlage war auf dem neuesten Stand der Technik. Was sie von anderen Anlagen ähnlicher Größenordnung unterschied, war die erweiterte Schlammbehandlung, die Dipl.-Ing. Anton Galba in jahrelangen Versuchsreihen optimiert hatte. Der Klärschlamm, Endprodukt jeder Abwasserreinigung, war hier kein lästiges Endprodukt, das mühselig deponiert werden musste, sondern wurde zu einem hochwertigen Trockengranulat weiterverarbeitet, eine Art Superdünger, der Bäume doppelt so schnell wachsen und Maispflanzen dreimal so hoch werden ließ wie ungedüngte Vergleichspflanzen – das konnte Galba alles auf eigens angelegten Versuchsanbauflächen nachweisen. Dort standen zwei Wäldchen, jedes unterteilt in Laub- und Nadelhölzer, das eine granulatgedüngt, das andere nicht, angelegt zur selben Zeit einzig zum Zweck, die Düngewirkung zu demonstrieren. Die gedüngten Bäume, mittlerweile vierzehn Jahre alt, waren genau doppelt so hoch und dick wie die ebenso alten ungedüngten. Auf zwei weiteren Flächen wies er mit sogenannten Lysimetern nach, dass dieses Granulat keine Schwermetalle an das Niederschlagswasser abgab – dazu sammelte er in unterirdischen Rinnen eben dieses Sickerwasser und ließ es im Labor analysieren, das eine unter normalemBoden aufgesammelt, das andere unter gedüngtem. Das machte er über viele Jahre hinweg, um auch Langzeiteffekte aufzufangen. Alles wurde dokumentiert und veröffentlicht. Das Granulat war sehr begehrt bei allen Personen, zu deren Aufgaben es gehörte, an den denkbar ungünstigsten Stellen auf Teufel komm raus etwas wachsen zu lassen: Wildbach- und Lawinenverbauung, Straßenbau, Böschungsbegrünung, Hochlagenaufforstung und so fort. Alle paar Wochen stand eine Delegation aus irgendeiner Weltgegend bei Anton Galba im Büro und wartete auf die fällige Exkursion hinaus zu den Versuchsfeldern; das Granulat eignete sich nämlich auch für Zwecke, die ihm nie eingefallen wären. Das Neueste war die Verwendung bei der Begrünung von Wüsten. Kurz: es war ein Wundermittel, und Anton Galba stolz darauf. In der Stadt nannte man ihn »den Mann, der aus Scheiße Gold macht«. Das hörte er gern. Das Granulat wurde unter dem Namen »Togapur« auch an Private verkauft, es gab am Rande des Geländes eine eigene Abgabestelle.
Anton Galba hatte die ganze Granulatsache aus eigenem Antrieb entwickelt, ohne Auftrag der Gemeinde, die schon zufrieden gewesen wäre, wenn die ARA nicht schlechter lief als die Nachbaranlage im Unterland. Galba hätte in einer Universitätsstadt eine ganz andere Karriere gemacht, eine Firma gegründet, irgendetwas in dieser Art, er wäre reich und in bestimmten Kreisen berühmt geworden, aber daraus wurde nichts. Dornbirn bot kein intellektuelles Umfeld. Wer sich hier etwas ausdachte, blieb entweder Einzelkämpfer oder ging weg. Anton Galba hatte noch das Glück, dass er seine Ideen in einer recht gehobenen Position umsetzen konnte; außerdem war auch in der untergründig bildungsfeindlichen Atmosphäre, die das ganze Land seit der
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