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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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überlegt hatte, dann …
    Nein, so war das nichts, so ging das nicht. Das sah er nun in großer Deutlichkeit vor sich. Schuld war der Zirbengeist … Ohne den Schluck hätte er die Sachlage nicht so klar analysieren können. Er nahm noch einen. Ohne den Zirbengeist vom geizigen Klaus Gruber würde er sich im Bett wälzen und über die Anschaffung teurer Sicherungsgeräte grübeln. Falsche Schiene, völlig falsche. Die Lösung war einfach, wie dasgute Lösungen so an sich haben. Man kommt nur nicht gleich drauf.

    *

    Sie saßen im Schatten des großen Riedbaums, dessen Namen sich Maria nicht merken konnte. Sie hatte das generelle Problem, sich nichts merken zu können, aber ihre Freundin Maggy sagte, das werde sich wieder geben, wenn das Problem erst gelöst sei. Sie nannten es nur das Problem , es war verboten, den richtigen Namen zu nennen. Seinen Namen. Auch das grammatische Geschlecht durfte nicht angedeutet werden; es hieß, wenn schon davon die Rede sein musste, »das Auto des Problems « oder »im Büro des Problems «, nie »sein Auto« oder »in seinem Büro«, weil man dann, sagte ihre Freundin, ja auf ihn hinwies, unwillkürlich. Maria sah das ein. Sie war nicht so gebildet wie Maggy, hatte das Gymnasium nach der Sechsten verlassen und eine Lehre als Verkäuferin angefangen, wild und frei sein und so weiter. Zwei Jahre später hatte sie das Problem geheiratet. Froh, von dem ständig betrunkenen Vater und der weinenden Mutter wegzukommen. Maggy hatte maturiert und dann irgendwas mit »-logie« hinten studiert, Soziologie, Psychologie, was war es bloß? Vor zwei Tagen, das wusste sie, hatten sie darüber gesprochen, die Freundin hatte es ihr erzählt – aber Maria konnte sich nichts mehr merken, sie hatte es vergessen, in zwei Tagen völlig vergessen … und nicht, weil sie jetzt ein so aufregendes Leben führte in dieser Riedhütte, die der Familie der Freundin gehörte. Sie war am Ende, einfach am Ende …
    »Was hast du?«
    Maria antwortete nicht, ihre Mundwinkel zitterten, dann beteiligten sich die Hände am Gezitter, es folgten die Lippen,die Augen wurden nass. Die Freundin griff über den Holztisch hinweg nach Marias Hand, hielt sie fest. Sie sagte: »Keine Angst, keine Angst. Es wird wieder, das verspreche ich dir. Wir werden das Problem lösen.« Dann stand sie auf und brachte den Kaffee. So war Maggy. Maria konnte sich nicht erinnern, wann es zu dem Spitznamen gekommen war, Maggy hieß schon immer so, seit den frühesten Zeiten des Gymnasiums, obwohl Maggy gar kein richtiger Spitzname war, den gab es ja wirklich, diesen Namen, keine Ableitung und keine Verkürzung von ihrem richtigen Vornamen, der nichts zu tun hatte mit »Maggy«. Sie würde sie bei Gelegenheit fragen, wenn sie nicht darauf vergaß; sie glaubte aber, dass sie es vergessen würde, es gab jetzt auch dringendere Probleme.
    Sie hatten in der Riedhütte einen gewissen Komfort, es gab ein Solarmodul auf dem Dach, eine dicke Speicherbatterie in einem Wandschrank und daher den Luxus elektrischen Lichts und einer Kaffeemaschine. Die Hütte war nur etwa zehn Quadratmeter groß, aber voll eingerichtet. Bett, Stühle, Tisch, eine Anrichte, ein Gasrechaud, Geschirr. Fenster nach allen Seiten. Sie stand im Schatten einer dreißig Meter hohen Esche und mehrerer Weiden weitab von dem Feldweg, der am Grundstück vorbeiführte. Zwischen diesem Fahrweg und dem Grundstück verlief ein tiefer Entwässerungsgraben, der auch im Sommer ständig geflutet war, der einzige Zugang eine schmale Brücke. Auf der Innenseite des Grabens ein Plankenzaun mit einem Tor aus dicken Bohlen. Um die Hütte und die Baumgruppe lief ein Jägerzaun, auch hier gab es ein Tor, Baustahl diesmal. Wassergräben markierten auch die anderen drei Seiten des großen Rechtecks, parallel dazu auf der Grundstücksseite eine dichte Hecke aus Weißdorn, Hainbuche, Schlehe und Holunder, von Maggys Vater mit großer Sorgfalt als Schutzgehölz für Vögel und Kleinsäuger angelegt. Außerdemliefen mehrere Stacheldrähte, im dichten Geäst verborgen, rund ums Gelände, was den Antrieb jedes hündischen oder menschlichen Wesens, fremden Grund und Boden zu betreten, wenn es denn die schlammigen Gräben überwunden hatte, vollends erlahmen ließ. (Die Drähte waren auch auf voller Länge mit einer Aufschlämmung aus Mist und von einer Viehweide entnommener Erde eingestrichen, davon wusste aber nur der mittlerweile verstorbene Vater der Freundin; er hatte diese merkwürdige Maßnahme ergriffen,

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