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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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geringste Kleinigkeit, die nicht in Ordnung war …
    Maria war müde. In den Wald wollte sie nicht mehr zurück. Die Beine taten ihr weh, die Waden zerkratzt vom Unterholz. Und sie hatte Hunger. Noch nicht sehr schlimm, aber doch spürbar. Der Hunger würde schlimmer werden. Sie hatte auf ihre Flucht nur eine kleine Flasche Mineralwasser mitgenommen und während des Tages ausgetrunken.
    Sie machte das Garagentor ganz auf. Ein schwarzes Loch, das schwache Sternenlicht vermochte das Innere nicht zu erleuchten. Das war schwierig. Sie ging zurück ans hintere Hauseck. Dort gab es einen Wasserhahn. Sie drehte auf, nurganz wenig, um kein Rauschen in der Leitung zu erzeugen, und füllte ihre Flasche. Dann ging sie zurück, drang in die dunkle Garage ein, setzte einen sehr, sehr langsamen Schritt vor den nächsten, rechtzeitig fiel ihr noch ein, dass sie das Tor hinter sich zumachen musste, aber nicht einrasten lassen durfte. Sie streckte die Hände ins Dunkel aus, das war auch gut so; sie stieß sanft an allerlei Gerätschaften, die sie nicht identifizieren konnte, hielt sich an der Wand und fand den Lichtschalter.
    Die Garage war keine Garage, sondern eine Werkstatt, in der Mitte eine Holzbearbeitungsmaschine mit Sägeblatt, damit konnte man aber sicher auch anderes als sägen, ihr Vater hatte so eine Maschine gehabt, nicht so modern natürlich. Wenn er daran arbeitete, ging es halbwegs mit ihm, aber wenn er keine Lust fürs Hobby hatte, ging er weg zum Trinken. Wenn er dann wiederkam, wurde es schlimm.
    Maria machte das Licht aus. Getrunken hatte er auch im Keller bei seinen Gerätschaften und seinem Holz, aber das hatte nie etwas ausgemacht, wenn er allein trank, war es nicht so viel und er war dann auch umgänglicher, wenn er heraufkam, schweigsam, aber friedlich, fast gut gelaunt. Nur wenn er in Gesellschaft trank, wurde er zur Bestie.
    Der Mann, dem diese Maschinen gehörten, Maggys Mann, war sicher anders, Maggy war schlau, die Beste in der Klasse, Maggy würde keinen Säufer heiraten wie ihre dumme Freundin Maria. Maria hoffte, dass sie immer noch die Freundin war, sie hatte sonst niemanden, wo sie hingehen konnte. Ihre Schwester war in Wien verheiratet und sie waren zerstritten, die Schwester verabscheute Marias Mann. Vielleicht hätte sie es gutgeheißen, dass Maria weggegangen war, aber nicht die idiotische Weise, wie sie es gemacht hatte – von einer Minute auf die andere, ohne Handy und ohne Geld. Wegen eines einzigenSchlags, nicht einmal eines besonders heftigen. Sie hatte danach aufgehört zu schreien und zu gestikulieren, er starrte sie an wie ein Weltwunder und schimpfte weiter, aber nur noch der Form halber, nicht mehr laut. Dann war er gegangen.
    Und dann war Maria gegangen. Mit dem, was sie anhatte. Mit nichts sonst.
    Sie setzte sich auf einen Stuhl in der hinteren Ecke. Sie wollte nicht mehr in den Wald zurück. In der Garage war es warm, das Sitzen eine Wohltat. Sie saß der Tür gegenüber, die von der Garage ins Haus führte. Am Morgen würde diese Tür aufgehen und Maggys Mann hereinkommen. Sie überlegte sich, was sie zu ihm sagen sollte. Es kam darauf an, dass sie als Erste sprach, ihm gleichsam den Wind aus den Segeln nahm. Wenn sie zuließ, dass er als Erster sprach – Wer sind Sie? Was wollen Sie? Was haben Sie hier verloren? –, dann war es aus, dann konnte sie sich alles Weitere sparen und besser still sein, bis die Polizei kam. Sie musste ihn mit einer wohlgesetzten Rede überraschen. Eine Redeübung wie in der Schule. Sie war in allen Fächern schlecht gewesen, nur nicht bei diesen Redeübungen in Deutsch. Die Erinnerung daran ließ sie Hoffnung schöpfen. Sie schlief ein.
    Als sie erwachte, war es heller Vormittag, das Licht kam unter dem Garagentor durch. Sie rappelte sich auf, jede Bewegung machte Mühe, ihre Knochen waren wie erstarrt. Sie drückte das Garagentor auf. Draußen schien die Spätsommersonne. Das Auto war weg. Maggys Mann hatte die Garage nicht betreten, sie hatte sich umsonst eine schöne Rede ausgedacht, in der alles vorgekommen wäre, was ihn für sie einnehmen sollte. Sie trat ins Freie, machte das Tor zu und läutete an der Eingangstür des Hauses.
    Sie dachte nicht daran, dass sie gar nichts über Maggyshäusliche Verhältnisse wusste. Dass vielleicht Maggy selbst weggefahren war, einkaufen, arbeiten, wer weiß; vielleicht war der Mann Hausmann? Und würde jetzt die Tür öffnen? Daran dachte Maria nicht. Erst viel später. Denn jetzt war alles so, wie es sich

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