Alles Fleisch ist Gras
Mathis. Und die Sache mit Nathanael Weiß; da hatte sie ihn unterbrochen, logisch, weil die Untreue am Schluss der Erzählung kam, nicht am Anfang – er hatte die Lage chronologisch von heute nach rückwärts in die Vergangenheit hinein berichtet, als umgekehrte Kausalfolge: Er wurde von Weiß erpresst, weil der wusste, dass er den Mathis hatte verschwinden lassen, was er getan hatte, weil der ihn mit Fotos erpresste, weil auf den Fotos zu sehen war, dass er die Helga Sieber vögelte (jedenfalls hatte der Mathis geglaubt, sie beide zu erkennen, ihn und die Helga, und er selber hatte das auch geglaubt).
Sie sagte lange Zeit nichts. Er hütete sich, etwas zu sagen. Es war jetzt kein Stück mehr, eindeutig. Und lustig war es auch nicht mehr, geschweige denn komisch; es lief jetzt, wie es in solchen Fällen läuft, in langweiligen Bahnen, dramaturgisch unergiebig. Es wird viel geschwiegen, wochen- und monatelang. Bedrückend, aber unspannend. An die einzige Frage, wer und wann das Schweigen brechen wird, lässt sich nicht so viel Emotion hängen, dass dauerhaftes Interesse bestehen bliebe. Das wurde ihm nun klar, während das Schweigen eben erst begonnen hatte. Er wurde ruhig.
Alles kam zu einem guten Ende. Sie hatte die Nachrichtenaufgenommen und angemessen reagiert. Sie würde darüber hinwegkommen. Das war die eine Seite. Die andere: Er hatte Hopfner gewarnt, nach allem, was ihm Weiß über diesen Mann erzählt hatte, war das keiner, der etwas auf die leichte Schulter nahm. Er würde ausrasten, zur Polizei gehen oder ins Fernsehen oder zu einem Gratisblatt. Oder direkt zu Weiß. Es würde einen Skandal geben, auf jeden Fall würde es aber herauskommen . Und der Alptraum beendet sein. Natürlich: Er konnte immer noch in Gefahr geraten. Eben durch dieses Herauskommen. Das lässt sich oft schlecht begrenzen, eigentlich gar nicht. Wie kotzen. Wenn es angefangen hat, kann man es nicht stoppen, aufhören muss es von selber. Aber oft hörte es eben auch auf, bevor der Magen leer war, es blieb etwas unten. Er brauchte Glück.
Das Schweigen dauerte dann gar nicht so lang. Keine Monate und Wochen, nicht einmal Tage. Es dauerte keine fünf Minuten.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte sie.
»Was meinst du mit tun ? Das mit Helga ist vorbei, sie hat auch schon gekündigt, es war ein Fehler, das hab ich schon …«
»Ich meine die Sache mit Weiß.« Ihre Stimme war ruhig, kein Zittern, weder Ober- noch Untertöne. Anton Galba war verwirrt. Die Frage wich vom Schema ab. Sie passte nicht her. Nun gab es in seiner Stimme ein kaum wahrnehmbares Zittern, als er antwortete.
»Mit Weiß? Was soll ich da noch machen? Ich hab den Hopfner gewarnt. Ich kann nicht gut einen Leibwächter neben ihn stellen …«
Der Witz war dünn und kam nicht an.
»Du hast das gemacht, richtig. Aber du weißt nicht, wie dieser Hopfner darauf reagiert.«
»Er wird komplett ausflippen!«
»Und woher weißt du das? Kennst du ihn?«
»Nicht persönlich. Aber nach allem, was Weiß von ihm erzählt hat …«
»Siehst du! Du kennst den Mann nur aus zweiter Hand, von deinem Schulfreund …«
»Er war gar nicht mein Schulfreund …«
»Das spielt keine Rolle. Dieser Hopfner mag nicht normal sein, aber der Weiß ist es ganz bestimmt nicht. Er lässt Leute verschwinden.«
»Ja, schon, ich sehe nur nicht, worauf …«
»Ich meine, er hat eine verzerrte Wahrnehmung – und dann diese Idee, die Gesellschaft zu säubern! Er ist verrückt, schlicht und einfach. Er bauscht alles maßlos auf, damit es in sein verqueres Weltbild passt. Auch das Verhalten anderer Menschen. Vielleicht hat der Hopfner deine Nachricht einfach weggeworfen. Was passiert dann?«
Anton Galba fühlte große Verlegenheit in sich aufsteigen, wie es geschieht, wenn man einen unglaublich blöden, saudummen Fehler gemacht hat. Und diese Frau hatte er mit Helga Sieber betrogen … Wenn er sie nicht hätte, diese, seine Frau, würde er wie ein Vierjähriger heiter ins Unglück rennen, und zwar auf geradem Wege und ohne Zögern.
»Dann«, sagte er, »wird er von Weiß beseitigt. Und das ist für den eine neuerliche Bestätigung seiner Unfehlbarkeit und Bestimmung durch die Vorsehung, was weiß ich. Und das bedeutet, dass es immer so weitergeht …« Die Stimme versagte ihm. Er starrte vor sich auf den Boden, er konnte seine Frau jetzt nicht ansehen.
»Nun ja«, sagte sie, »so schlimm braucht es ja nicht zu kommen. Du darfst nur nicht die Hände in den Schoß legen. Du musst was
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